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Baum mit Beinen. Plakat aus der Zeit, als Palästina noch englisch war.

© Mecfilm

Dokumentarfilm: Früchte des Zwists im Nahostkonflikt

Orangen aus Jaffa sind berühmt. Der israelische Filmemacher Eyal Sivan erzählt in seinem Dokumentarfilm „Jaffa – The Orange’s Clockwork“ den Nahostkonflikt mit Apfelsinen.

Heute sind im Supermarkt spanische und marokkanische Sorten an ihre Stelle getreten. Doch als die Orange in Europa heimisch wurde, hieß sie meist Jaffa und kam aus der gleichnamigen Stadt im Nahen Osten. Seit dem Beginn der Dampfschifffahrt Mitte des 19. Jahrhunderts wurden jährlich an die fünf Millionen Kisten aus Jaffa exportiert. Damals war der Ort eine kosmopolitische Hafenstadt, deren Plantagen Arbeitskräfte von Algerien bis Syrien rekrutierten. Und angesichts florierender Geschäfte arbeiteten arabische und jüdische Großgrundbesitzer und Obsthändler lange zusammen. Erst die zunehmende zionistische Einwanderung und dann die Gründung des Staates Israel änderten die Verhältnisse drastisch, und die nicht geflohenen arabischen Plantagenbesitzer mussten als Pflücker und Packer in ihren enteigneten Orangenhainen anheuern. Dabei kamen ihre landwirtschaftlichen Fachkenntnisse den Einwanderern oft entgegen.

Der israelische Filmemacher Eyal Sivan wurde bei uns mit Filmen über den Eichmann-Prozess („Ein Spezialist“, 1999) und die DDR-Staatssicherheit („Aus Liebe zum Volk“ 2004) bekannt. Mit „Jaffa – The Orange’s Clockwork“ setzt er sich anhand des früheren israelischen Hauptexportartikels (neben der Uzi) kritisch mit der israelischen Geschichte und nationalen Legendenbildung auseinander. Dazu gehörte eine Bilderpolitik, die die Orange schnell auch symbolisch besetzte und die vitale palästinensische Vorgeschichte im zionistischen Mythos von der Urbarmachung vergrub. Die Stadt Jaffa verschwand bald hinter der (staatlichen) Marke Jaffa, 1976 war sie nach Coca-Cola die zweitbekannteste der Welt. In der palästinensischen Ikonologie dagegen wurden die „burtokal“ und der Duft ihrer Blüten zum melancholischen Sinnbild für verlorene Lebensmöglichkeiten und Glück. Auch auf den Plakaten der Boykottiert-Israel-Kampagnen tauchte die Jaffa dann aggressiv gewendet wieder auf.

Sivans Gesprächspartner sind israelische und palästinensische Wissenschaftler, seine Gewährsleute ehemalige Praktiker aus dem Orangengeschäft. Noch gibt es alte Männer, die sich an das palästinensische Leben vor 1948 erinnern können. Zur Erhellung projiziert der Filmemacher Fotografien, Propagandafilme und Gemälde aus den letzten anderthalb Jahrhunderten an die Wand, dazwischen spielt er schmissige und sehnsüchtige, einschmeichelnde und hymnische Songs, die den Orangenhainen von Jaffa und ihrer süßen Frucht gewidmet sind.

Heute ist Jaffa ein von Gewalt geplagter Vorort von Tel Aviv. Und auf den israelischen Orangenplantagen pflücken Thais, weil die palästinensischen Arbeiter hinter der Mauer festsitzen, für deren Errichtung weitere palästinensische Haine gerodet wurden. Eine politische Lösung für die sich im Dauerkrieg zerfetzende Region lässt sich kaum denken. Sivans Film setzt dennoch fast trotzig einen Funken Hoffnung in die Idee, sich auf die vorzionistische Geschichte der Region und ihre kooperativen Werte zurückzubesinnen. Das hieße auch eine bewusste Abwendung vom Konzept des jüdischen Staates. Ein nicht gerade mehrheitsfähiges Unterfangen: Israelische Fördergelder für Sivans Film wurden nach vehementen Protesten jedenfalls zurückgezogen. Übrigens: Es war die von den Gewerkschaften in Jaffa erhobene Forderung nach mehr „jüdischer Arbeit“, die am Anfang des Endes interkultureller Integration stand.
Im Eiszeit-Kino

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