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Superstar. Viele Jamaikaner halten Tilmann Otto alias Gentleman für einen der ihren.

© Zorro Film

Dokumentarfilm: "Journey to Jah": Die Reggae-Stars Gentleman und Alborosie in Jamaika

Der Dokumentarfilm „Journey To Jah“ begleitet Gentleman und Alborosie nach Jamaika, wo die beiden Reggae-Sänger ihre Seelenheimat gefunden haben - und sehr erfolgreich sind.

Rot-violett glüht der Himmel, wenn es dunkel wird über Kingston. Schwarz und mächtig schweben die Wolken über dem warmen Meer, und nachts funkelt die Stadt wie ein Diadem am Hals der mächtigen Blue Mountains. Kingston – kreatives und wirtschaftliches Zentrum, aber auch Armen- und Irrenhaus der Karibik – wird am Anfang des Dokumentarfilms „Journey To Jah“ von Kameramann Marcus Winterbauer in berauschenden Farben gezeichnet. Es sind betörende Bilder, die den Betrachter auf eine falsche Fährte locken. Aus der Ferne gesehen ist die Metropole atemberaubend schön. Nähert man sich der Stadt, entpuppt sie sich als Moloch, in dem viele der knapp eine Millionen Einwohner täglich ums Überleben kämpfen.

„In Jamaika spüre ich: Gott lebt hier“, sagt der sizilianische Reggae-Sänger Alborosie alias Alberto D’Ascola, der seit 15 Jahren auf der Insel wohnt, „aber Satan auch“. Als er das erste Mal die Insel betrat, sei es ihm gewesen, als käme er nach Hause. Ähnlich erging es Gentleman alias Tilmann Otto, dem Pastorensohn aus Köln, als er vor mehr als zwei Jahrzehnten tief in die jamaikanische Kultur eintauchte und sich auf geradezu unheimliche Weise assimilierte. So sehr, dass er über die Jahre nicht mehr bloß Vorbilder kopierte, sondern selber zu einer wichtigen kreativen Kraft in der Szene emporstieg: heute gilt er als einer der wichtigsten Reggae-Musiker der Welt. Nicht wenige Jamaikaner glauben sogar, er sei auf der Insel geboren. Aus dem kalten Deutschland jedenfalls könne er unmöglich stammen.

Noël Dernesch und Moritz Springer versuchen in in ihrem per Crowdfunding finanzierten Film, das Phänomen dieser verblüffenden Kulturadaption zu ergründen. Für die befreundeten Sänger, so die Regisseure, sei sie der Ausdruck des „Suchens und Findens einer spirituellen Heimat in einem fremden Kulturkreis“ sowie der „Sehnsucht nach Freiheit, Rebellion und Selbstbestimmung“. Seit Bob Marley vor 40 Jahren zum globalen Superstar aufstieg, wurde die kleine karibische Insel Jamaika zum Sehnsuchtsort vieler Europäer, die vom sorglosen Hippie-Leben unter Palmen, von endlosen Reggae- Partys, Liebe, Frieden und nie versiegendem Marihuana träumten. Doch der Alltag der meisten Bewohner war von Armut und Gewalt geprägt. Der Machtkampf der Parteien PNP und JLP brachte Jamaika an den Rand eines Bürgerkrieges, dem 1980 fast tausend Menschen zum Opfer fielen. Wer dort lebte, dachte an Flucht.

Die Filmemacher gehen nicht an den weißen Strand, sondern dahin, wo die Müllberge stinken

Sehr viel hat sich daran nicht geändert, auch wenn die Gewalt nach vielen blutigen Jahren deutlich zurückgegangen ist, was weniger an politischer Stabilität als vielmehr einer des Mordens müde gewordenen Bevölkerung liegt. Es ist Dernesch und Springer hoch anzurechnen, dass sie versuchen, mit den Klischees aufzuräumen – sie gehen nicht dorthin, wo der weiße Strand lockt, sondern wo die Müllberge im Ghetto stinken. Es gelingt ihnen aber nur bedingt, was daran liegen mag, dass „Journey To Jah“ zu viel will. Dem grandiosen Auftakt folgt ein hastiges Abarbeiten der Aufgaben: Gentlemans und Alborosies Karrieren wollen erzählt werden, ebenso der Alltag des jamaikanischen Assistenten Natty, der sich weitab vom Glamour der Stars abspielt.

Die Sängerin Terry Lynn und Gentlemans Mentor Richie Stevens bekommen ihre Auftritte. Mit Professorin Carolyn Cooper, einer der wichtigsten Intellektuellen der englischsprachigen Karibik, wird en passant das äußerst komplexe Phänomen der Homophobie in Jamaika erörtert. Und dem Sänger Jack Radics, ebenfalls ein Freund Gentlemans, fällt die Rolle des kritischen Kommentators diverser Jamaika-Klischees zu, was ihm immerhin pointiert gelingt. Bald verliert sich der Film zudem in Zeitsprüngen und ungeschickten Schnitten, die all jene, die sich nicht mit der aktuellen Dancehall-Kultur auskennen, ratlos bleiben lassen. „Journey To Jah“ wirkt über weite Strecken wie eine jener hastig hingeworfenen Reportagen, wie sie etwa in der Sendung „Tracks“ auf Arte ausgestrahlt werden: gutes Thema, gut gemeinter Ansatz, tolle Bilder, aber im Ergebnis viel zu wenig Gehalt, um der Sache tatsächlich gerecht zu werden.

Die jamaikanische Kultur ist sehr kompliziert. Sprache und Codes sind für Außenstehende erst mit der Zeit zu verstehen. Zeit, die der Film nicht hat. Mitunter scheint es, als würden die Regisseure geradezu überrollt von den Geschichten, die bei jeder neuen Einstellung aufblitzen. Aber wahrscheinlich muss einfach scheitern, wer den lebendigen, sympathischen und anarchischen Irrsinn Jamaikas einzufangen sucht. Am Ende bleiben auch Gentleman und Alborosie Fremde. Fremde allerdings, die man gerne aufnimmt, in Jamaika.

Eiszeit, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe Kino (alle OmU)

Andreas Müller

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