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Dokumentarfilm „Kathedralen der Kultur“: Sprich, Bauwerk, sprich!

Im Architekturfilm „Kathedralen der Kultur“ erforschen Wim Wenders, Robert Redford und andere die Seele von Meisterwerken der Baukunst. Auch die Berliner Philharmonie ist dabei.

Hallo, Sie da! Ja, Sie! Man muss sich das vorstellen, ein Gebäude, das zu seinen Besuchern spricht, persönlich, verbindlich, hautnah! Das sein Innerstes nach außen stülpt und Dinge sagt wie: Ich bin immer da. Oder: Ich bin eine Metapher. Oder: Ich habe tausend Augen. Oder, poetisch: Ich bin die Nautilus, gestrandet auf den Sandbänken von Paris. Oder, philosophisch: Ich bin ein utopisches Abbild.

Haben Häuser eine Seele? Wim Wenders wollte es wissen und hat namhafte Regiekollegen eingeladen, Gebäude mit der Kamera zu erkunden: sechs Orte mit besonderer Aura, Meisterwerke der Architektur, Ikonen der Moderne zumeist. Wenders selbst eröffnet den knapp dreistündigen Episodenfilm mit Scharouns Philharmonie. Meret Becker leiht dem Konzerthaus ihre Stimme, erzählt vom einstigen Niemandsland rund um den Circus Karajanensi, von der goldenen Außenhaut, für die es anfangs kein Geld gab, von Frau Warnecke, die die von Damenschuhen traktierten Bodenmosaike im Foyer repariert, von der Weinbergsarchitektur. Und vom Wesen des Baus als riesiges, organisch geformtes Musikinstrument. Wohl wahr, die Pioniertat Hans Scharouns, dieses weithin leuchtende Manifest einer offenen Gesellschaft, sucht gemeinsam mit Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie gleich vis-à-vis ihresgleichen in Berlins Architektur, bis heute.

Kathedralen der Kultur, das sind in diesem Film außerdem die 200 Jahre alte Nationalbibliothek in St. Petersburg (Michael Glawogger), das Halden-Gefängnis in Norwegen als „humanste“ Vollzugsanstalt der Welt (Michael Madsen), Louis Kahns Salk Institute in San Diego (Robert Redford), die funkelnagelneue Oper in Oslo (Margreth Olin) sowie das Pariser Centre Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers (Karim Ainouz).

Das Kino beschwört den Geist der Architektur

Sie alle feiern ihr jeweiliges Bauwerk, bis an die Grenze zum Kitsch. Den hymnischsten Ton schlägt Robert Redford an, bei jenem Institut, das einst vom Biologen Jonas Salk gegründet wurde, nachdem er den Impfstoff gegen Kinderlähmung entdeckte. Der Gebäudekomplex mit geometrischem Sichtbetondesign samt Forscher-Klosterzellen unter kalifornischem Himmelsblau: ein Hort der Genies, ein Heiligtum. Alle Materie ist erloschenes Licht, wird Salk zitiert, der das Konzept gemeinsam mit dem Architekten entwickelte. Welch ein Motto für einen Film über Baukunst! Aber die mit Zeitraffer und pathetischem Soundtrack veredelten Bilder lösen das Versprechen nicht ein, das in dem Zitat steckt.

„Kathedralen der Kultur“ ist ein Reigen der Heimsuchungen, der Evokationen. Der Blick schweift, die Kamera schwebt, fliegt zur Decke hinauf, dringt über Flure und Schächte, Kammern und Säle in die Eingeweide der Gebäude vor, schlendert, streunt, stöbert, verirrt sich, nistet sich ein. So beschwört das Kino den Geist der Architektur – und die Hausgeister beginnen zu spuken.
Margreth Olin versucht es bei der fantastischen, direkt am Fjord ankernden Oslo-Oper mit Magie und Surrealismus. Dem Musentempel nähert sie sich in tänzerisch-träumerischer Manier, bevölkert das lichte Haus aus Glas, Stahl und Marmor mit Strawinskys Petruschka, singenden Kindern, Großstadtpassanten, sterbendem Schwan und anderen Fabelwesen. Der Däne Madsen geht im norwegischen Hochsicherheitstrakt des Architekturbüros Snohetta psychologisch zu Werke. Ein Mikrokosmos voller Mauern, Schlösser und Regeln: Mit nüchterner Empathie scannt Madsen ein Ambiente ab, dessen Rätsellosigkeit etwas zutiefst Unheimliches birgt. Die Häftlinge in dieser riesigen Gefängnisparkanlage: Wachtraumgestalten, Eremiten des Verbrechens, ein jeder für sich.

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Karim Ainouz wiederum nimmt Paris aus der Perspektive des Centre Pompidou wahr. Die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, und mittendrin die „Vision einer Zukunft, die nie eingetreten ist“. Weil es sein Tragwerk samt Rohren offen zur Schau stellt, wurde das Museums- und Bibliotheksmaschinenhaus bei seiner Entstehung in den Siebzigerjahren heftig befehdet („Ölraffinerie! Klettergerüst!“), heute ist es ein Besuchermagnet. Freier Wissenszugang für alle! Das Haus ist akzeptiert, nicht aber seine Vision – der einzige politische Satz in diesem Film. Er passt übrigens auch zur Philharmonie.

Das Vermächtnis von Michael Glawogger

ein Film über die Avantgardisten der jüngeren Baukunst ist „Kathedralen der Kultur“ dennoch nicht geworden. Denn der schönste Beitrag würdigt das exakte Gegenteil – stehen gebliebene, vergessene Zeit. Zum Raum wird jene Zeit in der neoklassizistischen Petersburger Nationalbibliothek, die Anfang des 19. Jahrhunderts entstand. Michael Glawoggers Hommage an die versinkende Welt des Analogen ist obendrein zum Vermächtnis des österreichischen Dokumentaristen geworden, der im April an Malaria starb, bei einem Afrika-Dreh.

Ältliche Bibliothekarinnen kritzeln Karteikarten voll, Neonlampen knistern und klackern in diesem verwunschenen Labyrinth des Weltgeists. Verstaubte Folianten, kostbare illustrierte Bibeln, Augustinus, Dostojewski, Brodsky – sie stimmen einen raunenden, staunenden Jenseits-Chor an. Wenigstens dieser eine Genius loci erklärt sich selbst, indem die Schätze erklingen, die der Ort beherbergt. Die anderen werden von außen arg zugetextet.

Zum Glück leisten sich alle Regisseure ab und zu etwas Stille. Oder sie lauschen den Geräuschen der Künstler, Besucher, Bewohner, Reinigungskräfte. Kurze Momente, in denen die Aura des Orts hörbar, spürbar, sichtbar wird. Vor Konzertbeginn wartet Simon Rattle hinter der Tür zum Saal, schweigend, reglos, es ist mucksmäuschenstill. Dann tritt der Maestro hinaus ins weite Rund der Philharmonie, in den heranbrandenden Applaus der Besucher.

3-D oder 2-D. Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Cinema Paris, International, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauerei und Passage

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