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Zu Hause in Meck-Pomm eckte Lena oft an, nicht so an der SFE im Mehringhof.

© Neue Visionen

Dokumentation "Berlin Rebel High School": Null Bock auf stures Büffeln

Alexander Kleider feiert in seiner Feelgood-Doku „Berlin Rebel High School“ die freie Schule für Erwachsenenbildung in Kreuzberg.

Diese Filmleute! Jetzt machen sie schon aus der guten alten und vor allem altlinken Schule für Erwachsenenbildung, abgekürzt SFE, die „Berlin Rebel High School“. Ja, muss denn alles irgendwie Pop sein? Selbst eine 1973 in basisdemokratischem Geist gegründete Bildungseinrichtung, die im vergangenen Jahr sogar mit einem zweiten Platz beim Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde?

Jawohl, muss, findet der Filmemacher Alexander Kleider, der die Begeisterung für seine einstige Schule, an der er 1998 bis 2000 auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht hat, nun in eine mitreißende Feelgood-Doku gepackt hat. Prima Jahre waren das, sagt er. Schwer frustriert vom Leistungsdruck der Regelschule, hat er als Schüler hier wieder neu zu Einsatz, Disziplin und Leidenschaft fürs Lernen gefunden. Ganz ohne Noten, Zeugnisse, Sitzordnung und Schulhierarchie.

Auch die Liebe zum Film und damit seinen Beruf hat er in diesen schlichten Graffiti-verzierten Klassenräumen im Kreuzberger Mehringhof entdeckt. Da war es nicht weit bis zur Idee, eine Gruppe von notorischen Schulabbrechern bei ihrer dreijährigen Verwandlung vom Lernversager, Punker oder Kiffer zum Abiturprüfling zu begleiten.

Herausgekommen ist ein menschenfreundliches, manchmal fast märchenhaftes Filmporträt, das an das Gute im Menschen wie an die Kraft antiautoritären Lernens glaubt. Das sei gerade jetzt wichtig, wo der Ruf nach Autoritäten wieder grassiere: „Ich habe das Gefühl, dass die übersättigten Menschen von heute eine Utopie brauchen“, sagt der 1975 in Böblingen geborene Kleider. Und in der könne durch die Bezeichnung „High School“ auch gern der amerikanische Traum mitschwingen, dass jeder alles schaffen kann.

"Wir brauchen Leute", sagt der Lehrer

Daran glaubt er. Schließlich ist es ihm sogar gelungen mit seinem Projekt durch die Mitbestimmungsinstanzen der freien Schule zu kommen. „In den 80ern hätte das nicht geklappt“, grinst er. Medien? Bloß nicht, hätten da sicher einige Dogmatiker gesagt. Heute sind die Sitten lockerer.

Auch Klaus Trappmann, heimlicher Held des Films und seit mehr als 40 Jahren Deutsch- und Kunstlehrer an der SFE hat nichts dagegen, plötzlich an einer „Rebel High School“ zu unterrichten. Da ist der Freund seiner Schüler, der in einer idyllischen Szene sommers sogar im privaten Garten mit der Klasse über Literatur diskutiert, ganz pragmatisch. „Sollen wir ruhig Pop werden, wir brauchen Leute.“ Um die hiesigen Bildungsideale weiterzutragen, könne Öffentlichkeit nicht schaden. Zumal die Schülerschaft der von monatlich rund 160 Euro Schulgeld pro Nase finanzierten SFE von einstmals 800 auf derzeit 200 junge Frauen und Männer geschrumpft ist. Die können hier den Mittleren Schulabschluss oder eben das Abitur erwerben, wobei die Prüfungen extern – und damit wieder nach Regelschulkriterien – abgelegt werden.

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Schul-Koordinatorin Beate Ulreich, die selbst mal als rebellische Schülerin hier anfing, braucht an dieser Schnittstelle zwischen der städtischen Bürokratie und der nonkonformistischen SFE mit ihrem Ideal des selbstbestimmten Lernens und Lebens Nerven wie Drahtseile. Besonders wenn wieder keiner der mit Tattoos, Piercings und bunten Haaren geschmückten Schützlinge die Anmeldungspapiere beieinander hat oder die Freigeistertruppe nach den Sommerferien nur kleckerweise wieder eintrudelt. Und im Gegensatz zum lockeren, in realiter überraschend lehrerhaft wirkenden Späthippie Trappmann sieht Ulreich auch die Schattenseite der Aufmerksamkeit, die mit dem Kinofilm womöglich über die SFE hereinbricht.

Michael Moore wäre auch gern auf die Schule gegangen

Immerhin war „Berlin Rebel High School“ für den Deutschen Filmpreis nominiert und Laudator Michael Moore sagte bei der Gala, auf die Schule wäre er auch gern gegangen. „Ich habe keine Lust Dienstleisterin für gelangweilte Mittelstandskinder zu werden“, stellt die neben Trappmann im Klassenzimmer hockende Ulreich fest. Und: „Wir sind kein Paradies für Hänger“. Das klingt genau wie im Film, wo sie das Einleben der Schüler als Drei-Phasen-Modell nach dem Muster „Begeisterung, Ernüchterung, produktive Panik“ beschreibt und hart aber herzlich darüber aufklärt, dass „antiautoritär“ nicht mit „Laissez-faire“ zu verwechseln sei.

Eine Schippe legen da noch Mixe, 26, aus Bayern, Claudi, 22, aus Karlsruhe und Aron, 19, aus Berlin drauf. Obwohl aus keineswegs zerrütteten Elternhäusern stammend, kam keiner von ihnen an staatlichen Schulen zurecht. Die Erfahrung teilen sie mit ihren Vorgängern, den Filmhelden – Lena, der frustrierten Punkerin aus Mecklenburg-Vorpommern, Hanil, dem Kiffer aus Aachen oder Alex, dem Mobbingopfer aus Luckenwalde. Doch hier an der SFE, wo Abweichler, Außenseiter normal sind, läuft’s. Für die Protagonisten der Doku, die inzwischen alle ein Studium oder einen Job begonnen haben. Und für die Drei hier, die das Abitur erst noch schaffen wollen.

„Selbstverwaltung ist kein Selbstbedienungsladen“

Gleich mehrfach zitieren Mixe, Claudi und Aron das Schulmotto, das als fettes Transparent über dem Eingang zum „Forum“ genannten Treff hängt, wo alle 14 Tage die Vollversammlung der Schülerinnen, Lehrer und Bürokräfte tagt. „Selbstverwaltung ist kein Selbstbedienungsladen“. Zwar stimmen alle mit einer Stimme über jede zu treffende Entscheidung ab, dafür sind aber auch alle für alles zuständig – inklusive Toiletten putzen, Küchendienst, Arbeitsgruppen leiten. Sieht lässig aus, ist aber ein anspruchsvolles Modell, das auch hier oft zu Abbrüchen führt. Nur in Ermangelung eines Leistungs- und Konkurrenzprinzips halt aus anderen Gründen als an der Regelschule.

Die SFE wurde mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.
Die SFE wurde mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.

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Bei allem freundschaftlichen Miteinander: Wer sich nur bespaßen lassen und nicht selber denken oder mitarbeiten will, kann an der SFE nicht glücklich werden. Doch die, die bleiben und das Schulgeld durch Bafög finanzieren können, finden erstmals eine schulische Heimat. „Man kann hier erwachsen werden, ohne zu verspießern“, sagt der en passant neoliberale Leistungsideologie wie gesellschaftliche Vereinzelung geißelnde Mixe. Die anderen nicken. Das ist das größtmögliche Kompliment.

Die Wärme des Müslityp-Lehrers

Gut, dass Alexander Kleider bei allem Enthusiasmus für dieses Anti-Pisa-Studien-Modell auch die Irritation der Schüler benennt. Das Befremden über die runtergerockten Räume, das Genervtsein über schlunzige Mitschüler, die die Klasse aufhalten, oder die Überforderung damit, dass man alles selber machen muss. Letzteres zu akzeptieren, ist ein für die Charakterbildung unschätzbar wichtiger Lernerfolg. Neben vielen anderen, die Hanil im Film so beschreibt: „Ich bin nicht dumm, nur faul, diesmal will ich’s schaffen.“

Selbsterkenntnisse wie diese verpackt der Regisseur in einen per Zeitraffer, Steadycam, Kranfahrten und Drohnenaufnahmen erzeugten, rhythmisch auf die coole Musik von Eckes Malz geschnittenen Bilderfluss. „Berlin Rebel High School“ macht nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch Spaß, Idealisierung hin oder her. Kurios auch, dass hier wie schon in Maren Ades „Toni Erdmann“ die Wärme des Müslityp-Lehrers wieder neu geschätzt wird. Umso niederschmetternder die monatlichen Rentenansprüche der jahrzehntelangen Schülerseelenretter. Sie liegen bei 800 Euro.

„Berlin Rebel High School“ startet am 11. Mai in den Kinos.

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