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Kultur: Don Quijotes Erben

Spanien ist das Zwischenreich der Uneindeutigkeiten. Der spanische Verband der Literaturkritiker prämierte kürzlich den in einem baskischen Verlag erschienenen Roman "Lagun izoztua" (Der eingefrorene Freund) als den besten des vergangenen Jahres in baskischer Sprache.

Spanien ist das Zwischenreich der Uneindeutigkeiten. Der spanische Verband der Literaturkritiker prämierte kürzlich den in einem baskischen Verlag erschienenen Roman "Lagun izoztua" (Der eingefrorene Freund) als den besten des vergangenen Jahres in baskischer Sprache. Der Preis ist undotiert, aber mit einigem Prestige behaftet. Der Autor jedoch heißt Joseba Sarrionaindía: ein wegen mehrfachen Mordversuchs, Entführung, Sprengstoffattentaten und -diebstählen 1981 zu insgesamt 27 Jahren Haft verurteiltes Mitglied der separatistischen Terrororganisation ETA.

Sarrionaindía gelang im Juli 1985 die Flucht aus einem Gefängnis in San Sebastián, seitdem lebt er im Untergrund. Niemand scheint zu wissen, was er tut, außer dem Verfassen von Büchern. Seine letzte politische Äußerung datiert aus dem Jahr 1998 und kommentiert die damals von der ETA ausgerufene "Waffenruhe" mit nüchterner Zustimmung: den "Krieg" weiterzuführen habe sich "sowohl in strategischer als auch in moralischer Hinsicht als negativ erwiesen". Inzwischen ist zumindest die ETA-Spitze wieder anderer Meinung. Das letzte Autobomben-Attentat mit einem 30-Kilogramm-Sprengsatz in der baskischen Stadt Getxo hat zwar "nur" erhebliche materielle Schäden verursacht. Aber einige Tage zuvor wurde der Gemeinderatsangehörige des Fischerortes Orio, Juan Priede, ein Rentner und Funktionär der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), beim Kaffeetrinken in einer Bar ermordet. Und auch die Bilder von den Leichen zweier Uniformierter, eine davon eine 28-jährige Polizistin, Mutter eines Kindes, sind nicht verblasst. Vergibt man unter solchen Umständen einen Literaturpreis an einen flüchtigen, rechtskräftig verurteilten ETA-Terroristen, über dessen Tun man seit seiner Flucht nichts weiß?

Spaniens Kulturministerin Pilar del Castillo erklärte, die Preisvergabe sei "überraschend und schwer zu rechtfertigen". Die Kritiker reagierten prompt und beriefen sich auf die "Freiheit des Wortes" - eine vielleicht übereifrige Reaktion, bedenkt man die Peinlichkeit, dass der Zusammenhang zwischen der Vita des Autors und seinem Werk im Prozess der Meinungsbildung verloren gegangen war. "Wir haben keinen ETA-Aktivisten ausgezeichnet, sondern einen Schriftsteller", sagte der Verbandspräsident der Kritiker, Miguel García-Posada. Noch etwas angriffslustiger äußerte sich der Kritiker Rafael Conte: "Werden wir neue Zensurbestimmungen einführen auf Grund eines Verfassungspatriotismus? Was tun wir dann eigentlich mit de Sade und Celine?"

Während die Regierung versucht, ein neues Parteiengesetz zu installieren, das ein Verbot des politischen Armes der ETA, der Partei "Batasuna", ermöglichen würde, beharrt die Kritik auf rein literarischen Kriterien. Da wünscht man sich 400 Jahre Distanz herbei: 1605 erschien erstmals der "Don Quijote", Cervantes hatte am 23. April Geburtstag. Der wegen des spanischen Klassikers und wegen Shakespeare für dieses Datum ausgerufene "Welttag des Buches" wurde in Spanien als grandioses Fest begangen, bei dem der Innenminister öffentlich ein paar Abschnitte aus dem "Don Quijote" las.

Gregor Ziolkowski

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