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Kultur: Doppellieben

Alles auf Anfang: die sensible Beziehungsstudie „Beginners“

Wahrheit und Klischee 1: Wenn uns die Liebe so richtig packt, dann sind wir wie neugeboren. Unbeholfen. Tastend. Mit großen Augen in die Welt blickend. Und alles ist erleuchtet. Wahrheit und Klischee 2: Es ist völlig egal, wann uns Cupidos Pfeil durchbohrt. Ob 13, 33 oder 75 – für die Liebe ist es nie zu spät. Im Gegenteil: Gerade im hohen Alter kommt die neue Liebe gerade recht. Wer neu anfängt, kann noch nicht am Ende sein.

Der amerikanische Regisseur Mike Mills („Thumbsucker“) hat sich nicht von der Sorge einschüchtern lassen, dass zwei Klischeewahrheiten eine zu viel sein könnten. „Beginners“ ist ein unerschrocken romantischer Film über zwei Anfänger der Liebe. Der 33-jährige Oliver (Ewan McGregor) lebt in einem grauen Apartement. Als Grafikdesigner zeichnet er schrullige CD-Hüllen für eine Band namens „The Sads“. Auch Oliver durchlebt eine bekümmerte Phase, bis er auf einer Kostümparty als Sigmund Freud auftritt und eine bezaubernde Französin (Mélanie Laurent) auf seiner Couch Platz nimmt. Fortan machen sie gemeinsam kuriose Dinge, wie man sie halt so macht in diesen sanfttraurig-niedlichen Filmen der Michel-Gondry-Wes-Anderson-Miranda-July-Sorte (July ist übrigens Mills’ Ehefrau). Mal besprühen sie nachts ein Werbeplakat am Sunset Boulevard. Mal fahren sie mit geklauten Rollschuhen durch ein Hotel. Mal mischt sich Olivers Hund Arthur ein, ein weiser Terrier, der sich eloquent in Untertiteln artikuliert.

Der andere Anfänger ist Olivers Vater Hal. Er ist 75 und war 44 Jahre lang mit Olivers Mutter verheiratet. Nun hat ihn der Krebs aufgezehrt, und er verliebt sich ein letztes Mal – ausgerechnet in den zartbitteren Andy (Goran Visnjic), einen biegsamen Koloss von Mann. Dieses Coming Out am Ende des Lebens, das sich langsam in Rückblenden erschließt, ist der aufregende Teil des Films: Wann hat sich im Kino das letzte Mal ein Mann so spät zu seiner wahren Sexualität bekehrt?

Auch wenn es manchmal arg regenbogenbunt zugeht im kurzen Rest von Hals neuem Leben: Christopher Plummer spielt diesen tiefbewegten Mann mit beeindruckender Nuanciertheit. Leider steht Ewan McGregor ein wenig sehr im Vordergrund – gegen dessen bubenhaften Charme ist eigentlich nichts einzuwenden, nur dass er nach Tim Burtons „Big Fish“ jetzt wohl einen arg verspielten Film mit ungewöhnlicher Vaterfigur zu viel gedreht hat. Déjà vu.

Meist schlägt „Beginners“, was ihm gut tut, melancholische Moll-Noten an. Nur manchmal ertönt ein schriller Klang. Dann hat sich Mike Mills’ Drang zum ungewöhnlichen Einfall allzu laut bemerkbar gemacht. Das darf man dann auch ein bisschen selbstverliebt finden.

Capitol, Cinema Paris, Cinemaxx, FaF, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Yorck; OV: Cinestar SonyCenter; OmU: Odeon

Julian Hanich

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