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Vitalisierungsmaßnahme. Henning Vogt (Herzog Alba) hilft Alexander Khuon (Don Carlos) in Stephan Kimmigs Inszenierung auf die Sprünge.

© Imago/DRAMA

Doppelpremiere am Deutschen Theater: Intrigen im Endstadium

Hauptsache Gegenwart: Stephan Kimmig inszeniert am Deutschen Theater Friedrich Schillers „Don Carlos“ - und Frank Abt verwandelt Peter Handkes „Immer noch Sturm“ in eine Märchenstunde.

Zu Beginn irrlichtert der spanische König Philipp erst mal durch seine verwaiste Machtzentrale. Es ist dies eine Firmenetage, wie sie die Bühnenbildnerin Katja Haß schon oft gebaut hat: Ein unwirtliches Arbeitszimmer reiht sich ans nächste. Von oben strahlt kalt das Neonlicht. Und auch sonst wabern, wie so häufig im (Deutschen) Theater, Gegenwartsbehauptungen herum.

Dass irgendwo zwischen dem kargen Büromobiliar, klein und schief, ein Europa-Emblem an der Wand klebt und ein Kind sich im Video um „Europa, Europa“ sorgt, wird im weiteren Verlauf des Abends allerdings eine ebenso untergeordnete Rolle spielen wie die hohe Zimmertüren-Frequenz im Bühnenbild. Denn die szenischen Möglichkeiten zur gegenseitigen Belauerung, die Haß dem Dramenpersonal mit dieser Konzern-Labyrinth-Bühne immerhin eröffnet, werden kaum genutzt. Zumeist steht der spanische Königshof mitsamt seiner (personell deutlich abgespeckten) Entourage an der Rampe und deklamiert seine Intrigen direkt ins Publikum.

Jawohl, schreit Stephan Kimmigs Inszenierung: Wir sind komplett in der panischen Machterhaltungspolitik des despotischen Königs erstarrt; Stagnation im Endstadium sozusagen. Jeder krallt sich an dem fest, was er hat. Damit könnten wir uns zwar genauso gut in ein paar anderen jüngeren Theater-Inszenierungen befinden, aber durchaus und ohne jeden Zweifel eben auch hier und heute in Berlin-Mitte.

Der von seinem Vater demütigend kurz gehaltene Kronprinz und Titelheld Don Carlos kanalisiert seine überschüssigen Energien – Frust inklusive – in exzessiven Leibesübungen. Alexander Khuon spielt ihn als buchstäblichen Möchtegern-Karrieristen in Jeans und T-Shirt, der sich mit Rampen-Liegestützen einführt, später als wackerer Springseilspringer in Szene setzt und am dramatischen Höhepunkt schließlich seine Schattenboxqualitäten auspackt.

Ulrich Matthes gibt den Vater als markanten Intellektuellen

Vitalisierungsmaßnahme. Henning Vogt (Herzog Alba) hilft Alexander Khuon (Don Carlos) in Stephan Kimmigs Inszenierung auf die Sprünge.
Vitalisierungsmaßnahme. Henning Vogt (Herzog Alba) hilft Alexander Khuon (Don Carlos) in Stephan Kimmigs Inszenierung auf die Sprünge.

© Imago/DRAMA

Dagegen wirkt sein Vater, den Ulrich Matthes im grauen Intellektuellen-Rolli unterm Jackett entsprechend nachdenklich gibt, geradezu markant. Gut möglich, dass dieser extra unkonventionelle Langhaar-Despot im Gegensatz zu seinem Sohn wenigstens eine bewegte APO-Vergangenheit genossen hat, bevor er derart im Establishment erstarrte. Wenn man so will, wird hier also auch jener in letzter Zeit so vehement herbeidebattierte Kampf „leeres weißes (Manager-)Hemd“ versus knorziger „Besitzstandswahrer“ mit Verdiensten ausgefochten. Und zwar genau so plakativ, wie es klingt.

Entert der idealistische Carlos-Jugendfreund Marquis von Posa die Bühne, macht sich tatsächlich 80er-Jahre-Studenten-WG-Flair breit in der tristen Firmenzentrale. In memoriam adoleszenter WG-Küchen-Partys hat der Marquis bei seiner Rückkehr aus Brüssel offenbar kurz bei einem Lebensmitteldiscounter Station gemacht: Er überrascht den sportelnden Kronprinzen mit einem Supermarkt-Karton als Mitbringsel, aus dem eine Sektflasche herausragt. Auch klamottentechnisch hält Posa – von Andreas Döhler als Establishment-Fremdkörper gespielt – stramm an den Studi-Zeiten fest: Kostümbildnerin Anja Rabes hat ihn in verwaschene Jeans und eine bräunliche Under-, Under-, Understatement-Joppe gesteckt.

Logisch, dass sich dieser Authentizitätsfetischist vor Schreck erst mal eine Zigarette anzünden muss, als er seinen alten Kumpel Carlos apolitisch-desillusioniert und selbstoptimierungswillig seilspringend in privater Beziehungsverbitterung antrifft statt in gesellschaftlich bewegter Aufbruchsstimmung.

Der königliche Besitzstandswahrer Philipp verwehrt seinem Sohn ja nicht nur politische Verantwortung, sondern hat ihm vor allem die Braut vor der Nase weggeheiratet: die nunmehrige Königin Elisabeth, die Katrin Wichmann mit der grundsympathischen Nahbarkeit einer mittelständischen Unternehmergattin spielt, welche dann auch endlich beherzt in den Lebensmittelkarton greift.

Dass „Don Carlos“ auch ein Stück über Glaubenskriege ist, lässt Kimmig zurücktreten. Statt des Politdramas dominiert die Familienstory. Zwar glaubt man Matthes’ vergeistigt in sich gekehrtem König durchaus, dass er sich wesentlich mehr für die undiplomatisch hervorgestoßenen, ketzerisch-republikanischen Fortschrittsideen und -ideale des Philanthropen Posa interessiert als sein pragmatischer Weichei-Sohn.

Aber was Kimmig ausbuchstabiert, sind eher Szenen wie die zwischen Carlos und der unglücklich in ihn verliebten Prinzessin Eboli. Wie Kathleen Morgeneyer sich als Hoffende erst mal in einem Brachial-Strip an den überdeutlich verdutzten Prinzen heranwirft, um sodann, als Verschmähte, mit böser Kälte gegen ihn zu intrigieren – das ist zwar so ziemlich das genaue Gegenteil von subtil. Aber froh ist man trotzdem, wenn mal ein kurzer Vitalitätsschub die erschlaffte Monarchie durchzuckt, die ansonsten – von einigen Drehbühnenrotationen und Jalousien-Öffnungen und -Schließungen abgesehen – knappe vier Stunden lang wirklich in aller Konsequenz vor sich hin stagniert.

Keine vier, sondern nur zwei Stunden dauert nebenan Frank Abts Peter-Handke-Inszenierung „Immer noch Sturm“ in der Kammer. Aber auch hier dreht sich abendfüllend die Zimmerflucht; und auch hier wird Welt- in Familiengeschichte portioniert. Klar: Handke begleitet in seinem vor vier Jahren von Dimiter Gotscheff urinszenierten Text tatsächlich seine slowenischen Vorfahren – als Minderheit im österreichischen Kärnten – durch den Zweiten Weltkrieg.

Doch alles ins Gegenwärtige beziehungsweise gedanklich Universelle Strebende, das Handke diesen Geschichten zwischen Anpassung und Widerstand abgewinnt, hat Abt tendenziell gestutzt. Dafür fährt ein Familienpanorama in historisierenden Kostümen auf, dessen Tonlage vor allem beim Ich-Erzähler und Autoren-Alter-Ego (Markwart Müller-Elmau) gelegentlich hart am Märchenonkel-Idiom entlangschrammt. So verlässt man das Haus mit einem akuten Wunsch: Lieber Theatergott, geben Sie Gedankenvielfalt!

„Don Carlos“ wieder am 14., 19. und 29. 5.; „Immer noch Sturm“ am 3., 8. und 26.5.

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