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Kultur: Dorniger Schlaf

Wie war das doch noch gleich mit dem Märchen vom Metropol-Röschen? Hatte nicht alles damit angefangen, daß der König zur Taufe der Tochter nur zwölf der dreizehn weisen Frauen seines Landes lud - angeblich, weil er nur ein Dutzend goldener Teller besaß?

Wie war das doch noch gleich mit dem Märchen vom Metropol-Röschen? Hatte nicht alles damit angefangen, daß der König zur Taufe der Tochter nur zwölf der dreizehn weisen Frauen seines Landes lud - angeblich, weil er nur ein Dutzend goldener Teller besaß? "Wenn dein Kind sein 99.Lebensjahr erreicht", soll die Ausgeschlossene damals wütend ausgerufen haben, "wird sie von einem Intendanten zugrunde gerichtet werden und tot umfallen." Unfähig, die üble Verwünschung aufzuheben, hatte damals eine der anwesenden guten Feen das Urteil gerade noch in einen Schönheitsschlaf umzubiegen vermocht, aus dem sie nur durch den Musenkuß eines betriebswirtschaftlich sattelfesten Betreibers zu erwecken wäre.Und tatsächlich: Als Metropol-Röschen schon ziemlich viel Moos angesetzt hatte und auf ihren 99.Geburtstag zuging, hofften alle, die sie liebhatten, sie würde durch sanftes Entschlafen der schrecklichen Prophezeihung entgehen.Doch dann kam René Kollo in die Märchenstadt Berlin und bescherte ihr alsbald den Konkurs.Schon bald versammelten sich jedoch an die drei Dutzend kußwütige Prinzen - denn sie hatte eine stattliche Mitgift von 25 Millionen pro Jahr.Keinem von ihnen wollte es aber gelingen, an die Schlafende heranzukommen.Unüberwindbar schien die hohe Hecke aus dornigen Vorbedingungen, die ihr Vormund Peter Radunski vor ihrem Vaterhaus gepflanzt hatte.Einmal schaffte es ein Prinz aus dem Musterländle fast, bis zu ihrem Turmzimmer hinaufzuklettern.Doch kurz vor dem Ziel bekam er dann doch Furcht vor der eigenen Courage und sprang wieder ab.So ergab es sich, daß Metropol-Röschen auch heute, an ihrem 100.Geburtstag, immer noch in dem künstlerischen Koma liegt, welches ihr von der bösen Fee angehext wurde.Während nun so mancher aus Anlaß dieses traurigen Jubiläums das alte Sprichwort zitieren wird von den schlafenden Rosen, die man nicht wecken soll, beteuert ihr Schlafverwalter Radunski unermüdlich: "Sie lebt, und sie hat eine Zukunft." Im Gedächtnis ihrer Freunde und Fans hat die "Rose von Operettenland" jedenfalls immer noch ihren festen Platz.Gern erinnern sie sich an die heiteren Stunden, die sie in ihrer Gesellschaft verbrachten, an die Momente der Alltagsflucht, an die gemeinsamen Träume von der guten alten Zeit.Heimlich haben sie derweil Angst davor, daß es am Ende gar einem Prinzen mit allzu fortschrittlichen Ideen gelingen könnte, Metropol-Röschen doch noch wachzuküssen.Viele von ihnen werden heute zum Dornenpalast pilgern, um vor dem Portal Blumen niederzulegen - vermutlich Rosen aus Tirol.

F.H.

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