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Kultur: Drachenreich

Berlin baut: die Weddinger Erika-Mann-Schule

Drachen sind geheimnisvolle Tiere. Ihnen vermag sich kaum jemand zu entziehen, führen sie doch direkt in das Reich der Fantasie. Gefahr und Sehnsucht – beides ist bei ihnen eng miteinander verwoben. Was also könnte schöner sein, als sich einen solchen Drachen in die eigene Schule zu holen? Ihm unter violettem Licht und üppigen Pflanzen einen Schlafplatz zu bereiten und seinen Flügelschlag zu beobachten? Möglich ist das für die Kinder der Erika-Mann-Grundschule in Wedding. Dort ist das Gemeinschaftsprojekt des „silbernen Drachen“ entstanden. Mitgewirkt haben neben Kindern der dritten bis sechsten Klassenstufe die Architektin Susanne Hofmann und die „Baupiloten“, eine Gruppe von Studenten der Technischen Universität Berlin. Gemeinsam entwickelten sie das Konzept für die Modernisierung der über die Jahre allzu trist gewordenen Flure und Treppenhäuser der Schule – immerhin ein Bau des berühmten Berliner Stadtbaurats der Jahrhundertwende, Ludwig Hoffmann.

In einem ersten Schritt wurden von den Schülern der theaterbetonten Grundschule in der Utrechter Straße 25/27 Collagen und Bilder entworfen, die die Architekturstudenten aufgenommen haben. Der damit in Gang gesetzte Prozess zwischen Großen und Kleinen führte schließlich zur Idee des silbernen Drachen, dem die Studierenden eine architektonische Form verliehen haben. So sind Drachenorte mit poetischen Namen entstanden. „HauchSanftSein“ nennt sich ein Flur mit verschließbaren Garderobenschränken und lichten Fahnen an der Decke – beides aus feuerfestem Stoff. Wie ein sanfter Hauch schwirren die durchscheinenden Deckenschleier umher, wenn unter ihnen die Drachen hinwegtollen – oder die Kinder. Auf dem Flur „Ein Thron für den Augenblick des Flügelschlags“ sind vor den leuchtend rosafarbenen Wänden Möbel aus lackiertem Metall angeordnet, an denen kleine Arbeitsgruppen Platz finden. Werden die Möbel nicht benötigt, klappt man sie hoch. Dann erinnern sie an Flügelschläge des imaginären Drachen und scheinen die Architektur in Bewegung zu versetzen.

Höhepunkt der fantasievollen Modernisierung aber ist der „Drachenflug- Flur“. An Boden und Decken schlängelt und schwingt sich organisch der Drachenkörper entlang, bereit zum Flug. Ein Ort zum Klettern und zum Schauen: Denn von Spiegeln reflektierte farbige Lichter von Weiß über Gelb bis Rot führen direkt in das Reich des Drachens. Begleitet wird die Erika-Mann-Schule vom Harfenklang aus dem Treppenhaus: Dort sind neben dem Geländer Metallharfen installiert, deren Töne vom Erdgeschoss an immer höher klingen und zum musikalischen Experiment einladen.

Der „silberne Drachen“ bietet Gestaltung als Erlebnis, eine architektonische Fantasiereise bei dem äußerst schmalem Budget von 95000 Euro. Die Möbel für die Flure wurden unter anderem von Häftlingen in Tegel und Lichtenberg gefertigt. Das Ergebnis ist eine ebenso kindgerechte wie soziale Architektur an der Schnittstelle zwischen Kunst, Architektur und Ausbildung.

Jürgen Tietz

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