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In „Auf das Leben“ spielt Max Riemelt einen Filmstudenten im Berlin der 70er Jahre und einen Möbelpacker von heute.

© Camino Filmverleih

Drama "Auf das Leben!": Max Riemelt im Interview: „Ich mache mich nackt vor den Leuten“

Erst 30 und schon international ein Star: Max Riemelt spielt gerade an der Seite von Hannelore Elsner im Film „Auf das Leben!“ und dreht in Indien eine Serie für Netflix.

Herr Riemelt, Sie sind dieses Jahr 30 geworden: Darf ich Sie noch Jungstar nennen, oder welche Bezeichnung ziehen Sie vor?
Egal, Titel oder Bezeichnungen kratzen mich nicht. Ich bezeichne mich auch nicht als Künstler. Es sind ja andere Leute, die die Visionen haben. Ich bin eher ein Werkzeug der Künstler

Ein Kunsthandwerker?
Kann man so sagen. Ich weiß nicht so richtig, wie ich mich selber sehen soll. Das Erwachsensein, das einem mit 30 zugestanden wird, deckt sich nicht so mit meinem Lebensstil. Ich fühle mich jünger. Wenn ich drehe, gehe ich ja quasi auf eine fremdbestimmte Abenteuerreise und werde dafür auch noch bezahlt. Da treffe ich interessante Leute, die aber nicht wirklich viel mit mir zu tun haben und mich auch nicht an mich selber erinnern. Dieses Undefiniertsein in dem Beruf ist aber auch erfrischend.

Ihre ersten Rollen hatten Sie in den Fernsehserien „Eine Familie zum Küssen“ und „Praxis Bülowbogen“, da waren Sie 13. Stimmt es, dass Sie für die Schauspielerei die Schule abgebrochen haben?
Nicht wirklich. Aber das Spielen und der Respekt, den ich dadurch bekam, haben sich so viel besser angefühlt als Schule, dass ich mit dem Realschulabschluss aufgehört habe. Ich kann Autoritäten ganz schwer akzeptieren. Und für die Setarbeit war das ein wahnsinniger Vorteil, dass ich so früh angefangen habe: Das ist meine natürliche Umgebung. Die Warterei ist für mich kein Drama, ich kann mich prima mit mir selbst beschäftigen.

Ihre Karriere läuft ausgesprochen rund – inzwischen auch international: kann es sein, dass Letzteres an Ihrem ungemein deutschen Aussehen liegt?
Damit hat es bestimmt was zu tun. Aber auch mit der Qualität meiner Arbeit und damit, dass man sich auf mich verlassen kann. Manche Leute denken am Set, sie haben’s geschafft und führen sich auch so auf. Ich nicht. Im Gegenteil: Der Job ist auch eine Zerreißprobe. Man macht sich physisch und psychisch nackt vor den Leuten. Das sind ja Fremde, denen man trotzdem sein Vertrauen schenken muss – und zugleich Abstand wahren. Wenn man so lange von zu Hause weg ist wie ich in diesem Jahr, entbehre ich mein eigentliches Leben. Meine Tochter ist sechs, die leidet darunter.

Sie sind gerade aus Indien von einem Dreh zurückgekommen?
Ja, mit den Regisseuren Lana und Andy Wachowski und Tom Tykwer. Die Serie ist international besetzt und heißt „Sense 8“. Sie wird vom Internet-Streamingdienst Netflix produziert. Wir haben seit Juni in San Francisco, Chicago, Mexiko City, London, Reykjavik, Nairobi, Berlin und zuletzt in Mumbai gedreht. Ohne Green Screen, auch wenn das teilweise ein Science-Fiction-Film ist.

Wie unterscheidet sich der Dreh für Netflix von einem traditionellen Kino- oder Fernsehdreh?
Wenn’s um den Aufwand am Set geht, gar nicht, der war krass. Du musst den Text können, gedreht wird ohne Probe. Aber du wirst nie erleben, dass sich der Produzent einmischt, oder dass am Set jemand aus dem Büro ankommt und sagt, jetzt mal Schluss machen, oder dies und das geht nicht. Da herrscht absolute künstlerische Freiheit. Das ist Netflix-Geld, die sind halt unabhängig. Die kalkulieren von vornherein hart, aber dann lassen sie die Künstler Künstler sein.

Aber nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus Verwertungsinteresse …
Auf jeden Fall! Aber sie setzen ihre eigenen Regeln und wiederholen nicht – wie bei uns im Fernsehen – nur Muster, die mal erfolgreich waren. Die experimentieren immer weiter. Gleichzeitig gibt es für einen Schauspieler nicht so viele Faktoren, die die Arbeit unberechenbar machen. Wenn du dich mit dem Regisseur eingeschworen hast, dann machst du hundertprozentig das, was du dir vorgestellt hast. Unabhängig vom Testpublikum, unabhängig von Fernsehredakteuren. Das ist ein gutes Gefühl. Die Netflix-Leute wissen genau, was sie wollen und haben eine klare Vision.

Die darauf abzielt, weltweit möglichst viele Leute zu erreichen …
Stimmt, da wird sofort ausgewertet, was gut ankommt. Entsprechend inszenieren sie die Serie dann und entwickeln sie weiter zum idealen Produkt.

Hört sich ziemlich nach „Big Brother“ an ...
… nur auf künstlerischer Ebene. Was ich von „Sense 8“ bisher gesehen habe, sieht jedenfalls wie Kinoqualität aus. Schade, dass die meisten Leute das nur auf dem Laptop gucken werden.

Wie steht es denn um Ihren persönlichen Film- und Fernsehkonsum?
Ich leihe DVDs aus. Ich bin nicht so internet- und überhaupt nicht computeraffin, im Gegenteil, ich bin total faul und habe keinen Ehrgeiz, mich damit zu befassen.

Ziemlich untypisch für Ihre Altersklasse.
Ich habe die ganze Entwicklung verschlafen und mag sie auch nicht. Da bleibe ich lieber bei DVDs und zahle -zig Euro, weil ich sie immer zu spät zurückbringe.

Wen spielen Sie eigentlich in „Sense 8“?
Natürlich den Deutschen – ein Berliner wie ich. Das ist das erste Mal, dass ich Action drehen darf. Für Actionfilme gibt’s ja in Deutschland kein Geld. Aber hier darf ich richtig viel rumballern, das mag ich.

Max Riemelt: "Mir gefallen Figuren, die Substanz haben."

In „Auf das Leben“ spielt Max Riemelt einen Filmstudenten im Berlin der 70er Jahre und einen Möbelpacker von heute.
Rückblende: In „Auf das Leben“ spielt Max Riemelt einen Filmstudenten im Berlin der 70er Jahre und einen Möbelpacker von heute.

© Camino Filmverleih

In Dominik Grafs Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ haben Sie als Polizist aber schon mal Türen eingetreten.
Lustigerweise auch in diesem markanten Berliner Wohnblock, der Autobahnüberbauung aus den Siebzigern in der Schlangenbader Straße. Da habe ich schon bei Graf eine Tür aufgebrochen und jetzt wieder, um Hannelore Elsner oder besser: die von ihr gespielte Figur zu retten, die mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne liegt.

Haben Sie vor dem Rollenangebot für „Auf das Leben“ jemals was von Artur Brauner oder der Produktionsfirma CCC-Film gehört, die den Film produziert haben?
Von Brauner als Legende des deutschen Films ja, aber seine Filme kannte ich nicht. Der Dreh in den CCC-Studios in Spandau, die alten Filmplakate, der Geruch in den Katakomben, wo die Schminkräume sind – das war eine irre Zeitreise. Schon Wahnsinn, wenn sich einer so lange mit seinem Namen und seiner Haltung hält.

Die da wäre?
Filmkultur zu leben und zu lieben. Und das deutsche Gewissen immer wieder mit Filmen anzuregen. Alte Schule war auch, dass die Produzentin Alice Brauner mich zuerst angesprochen hat und nicht der Regisseur Uwe Janson. Mitmachen wollte ich, weil ich zum ersten Mal eine Doppelrolle spiele: einen zarten Filmstudenten aus den siebziger Jahren und einen rotzigen Möbelpacker von heute. Da springt man an einem Drehtag gleich mehrfach in die Maske – mal mit, mal ohne Haarteil. Mir selbst die Verwandlung zu glauben, fällt enorm schwer.

Ihre Filmpartnerin Hannelore Elsner spielt eine Holocaust-Überlebende. Sie selbst haben von „Napola“ bis zum polnischen Blockbuster „Miasto 44“ viele historische Rollen gespielt – wieder wegen des großflächigen 40er-Jahre-Gesichts?
Das ist ein Faktor, aber sonst ist es Zufall. „Napola“ war ein wichtiger Film, die erste große Charakterrolle im Kino. Mir gefallen solche Figuren, weil sie Substanz haben. Dadurch habe ich mehr über die NS-Zeit verstanden als durch die Schule.

In Komödien dagegen sind Sie auffallend selten zu sehen.
Ich habe einen Hang zum Drama. Gut geschriebene Komödien gibt's nicht viele in Deutschland. Das sind meist Aneinanderreihungen von Slapstick, intelligenten Witz kann ich da schwer rauslesen. Mit Jan Fehse habe ich dieses Jahr eine gedreht, „Storno“, die ist noch nicht rausgekommen. Da spiele ich einen Versicherungsvertreter in Bayern, der Dorfleuten Verträge andreht. Aber sonst bevorzuge ich den Weltschmerz, die Melancholie. Diese Empfindungstiefe ist ja auch das, was uns von den Tieren unterscheidet. Und dass wir die Schwermut bebildern können und damit wieder Gefühle auslösen, das ist für mich das Große am Film.

Das Gespräch führte Gunda Bartels.

Zur Person: Max Riemelt, in Berlin-Mitte aufgewachsen, ist als Schauspieler Autodidakt. Sein Einstieg waren Rollen im Kinderfernsehen. Seither war er in rund 50 Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen. 2005 wurde er auf der Berlinale zum deutschen Shootingstar des europäischen Films gekürt. In Filmen und TV-Serien etwa von Dennis Gansel und Dominik Graf spielte er Hauptrollen. Darunter „Napola – Elite für den Führer“ (2004), „Der rote Kakadu“ (2006), „Die Welle“ (2008) und „Im Angesicht des Verbrechens“ (2010). In Stephan Lacants „Freier Fall“ war er 2013 auf der Berlinale zu sehen. Gerade abgedreht ist die Netflix-Serie „Sense 8“ von Tom Tykwer und den Wachowskis. Im Kino ist Max Riemelt derzeit in Uwe Jansons Drama „Auf das Leben!“ zu sehen.

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