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Kultur: Draußen vor der Tür

Bruce Springsteen kehrt mit „Devils & Dust“ zu seinen Songwriter-Wurzeln zurück

Er hat den Finger am Abzug und Gott an seiner Seite. Doch finstere Zweifel beschleichen ihn: Wem kann ich trauen? Ist vielleicht völlig falsch, was ich hier tue? Und plötzlich ist da diese Angst, sie wird immer größer, sie färbt sein Herz und seine Seele schwarz. Er sieht nur noch Teufel und Staub.

„Devils & Dust“ ist der erste Song auf Bruce Springsteens gleichnamigem neuen Album (Columbia/Sony). Er entstand vor zwei Jahren zu Beginn des zweiten Irak-Krieges der USA und ist aufgebaut wie die Angstwelle des Soldaten, die er beschreibt: Ausgehend von einer einfachen Akustikgitarren-Begleitung, lässt eine Streichersektion die Strophen immer weiter anschwellen, bis schließlich eine Mundharmonika und ein Schlagzeug hineinpreschen – die Welle bricht. Doch es gibt keinen eingängigen Refrain, der den Hörer an ein sicheres Ufer bringt. Dies ist kein Springsteen-Gassenhauer. Hier geht es in jeder Note und jeder Zeile um den Verlust von Glauben und Menschlichkeit, den ein Soldat im Krieg erfährt. Das klingt so beklemmend, dass patriotische Fehlinterpretationen wie bei „Born in the U.S.A.“ ausgeschlossen sind.

Das Stück wirkt wie eine Fortschreibung von „The Rising“, Springsteens 2002 erschienener Trauer- und Trostplatte zum 11. September. Es erinnert aber auch an sein Engagement für den demokratischen Präsidentschaftskandiaten John Kerry, den er unter anderem mit Auftritten bei der „Vote for Change“-Tour untertützt hatte. Diesen politischen Kurs verlässt er allerdings sofort wieder. Keines der übrigen elf Lieder seiner dreizehnten Platte hat ein ähnlich aktuelles Thema wie der Titelsong. Stattdessen kehrt der 55-Jährige in sein ältestes Gebiet zurück: die dunklen Ecken der Stadt und die staubigen Highways. Dort, wo sich all die Underdogs herumtreiben, für die der amerikanische Traum immer nur ein Alptraum war.

Springsteen ist wieder an der Seite der traurigen Joes, Billys, Marys, Wandas und Miguels, von denen seine eindringlichen, short-story-ähnlichen Texte seit jeher handeln. So ein Typ ist auch der Boxer in der Ballade „The Hitter“. Er hat sich lange Jahre mit Kämpfen in Häfen, Zelten und auf dem freien Feld durchgeschlagen. Jetzt steht er im Regen vor der Tür seiner Mutter und fleht um ein kurzes Asyl: „There’s nothing that I want, nothing that you need to say. Just let me lie down a while and I’ll be on my way.“ Springsteen singt mit so schwerer, tiefer Stimme, dass man den gebeugten, vernarbten Kerl sofort vor Augen hat.

Das Album ist geprägt von solchen klassischen Singer/Songwriter-Stücken, bei denen Springsteen seine Fender Telecaster im Schrank lässt und Akustikgitarre spielt. Damit knüpft er an seine Meisterwerke „Nebraska“ (1982) und „The Ghost of Tom Joad“ (1995) an. Beides waren sparsam instrumentierte Solo-Platten, die ihm zu Recht Vergleiche mit Bob Dylan und Woody Guthrie einbrachten. Von „Tom Joad“ zum aktuellen Werk besteht sogar eine direkte Verbindung: Einige der „Devils & Dust“-Songs schrieb Springsteen auf seiner damaligen Solo- Tour. „Ich hatte meine Stimme noch, weil ich nicht den ganzen Abend in einer Rockband gesungen hatte. Also ging ich nach Hause und dachte mir ein paar Geschichten aus“, erzählte er dem „Rolling Stone Magazine“. Die Songs waren 1997 fast fertig. Doch Springsteen legte sie beiseite, weil die Reunion-Tournee mit seiner alten E Street Band anstand.

Dass Springsteen das alte Material wieder hervorholte, lag an dem Song „Devils & Dust“, für den er zunächst keinen befriedigenden Sound fand. Doch dann half ihm „The Rising“-Produzent Brendan O’Brien, der dem Stück laut Springsteen mehr Fleisch gab. Es wurde fetter. In ähnlicher Weise päppelte O’Brien dann auch andere „Devils & Dust“-Stücke auf. Doch nicht immer passt sein reichhaltiger Nährstoff aus Streichern und Background-Chören zu den eher minimalistisch angelegten Liedern. So beginnt „Maria’s Bed“ schön klar mit einer Akustik- und einer Slide-Gitarre. Springsteens Stimme versucht sich in ungewohnt hohen Lagen. Das allein wäre schon interessant genug. Doch dann verwandeln Schlagzeug, Keyboards, Geige und Backgroundgesang das Stück in Dumpfrock.

Auch „Reno“ und „Black Cowboys“ wären ohne Streicher prägnanter. Es ist, als ob Springsteen seinen Songs nicht vertraut. Dabei funktionieren sie auch ohne Tuning, wie auf der Zusatz-DVD zu hören ist. Hier spielt Springsteen fünf „Devils & Dust“-Songs – begleitet nur von Gitarre und Mundharmonika.

Glücklicherweise wurde „All I’m Thinking About“ zurückhaltend produziert. Es ist der vielleicht schönste Song des Albums: Wieder zur Slide-Gitarre stimmt Springsteen ein einfaches Liebeslied an. Dabei treibt er seine Stimme so weit ins Falsett, dass sie gelegentlich wegbricht. Dennoch ist sie von mitreißender Fröhlichkeit und Leichtigkeit erfüllt. Eine Singleauskopplung gibt es leider nicht; „All I’m Thinking About“ hätte Springsteens untypischster Hit werden können.

„Devils & Dust“ erscheint am Montag, 25. April. Springsteen-Solo-Tour im Juni.

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