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Kultur: Dreck in der Dämmerung

Wojciech Kuczok bekämpft mit „Lethargie“ seine Schreibkrise

Vor sieben Jahren erschien in Polen Wojciech Kuczoks erster Roman „Dreckskerl“, die „Antibiographie“ einer Kindheit im Oberschlesischen, die beherrscht ist von der maßlosen Brutalität eines Patriarchen, von den Peitschenhieben, die immer wieder aus dem Dunkel auf den Erzähler niederfahren. Mit grotesken und zugleich burlesken Mitteln erzählt Kuczok diese Familiengeschichte, die schließlich ganz surreal in einer alles verschlingenden Jauchegrube begraben wird. Kuczok wurde mit diesem Debüt in Polen zum Star und ließ nicht nur ein Drehbuch zum Roman, sondern noch zwei Erzählbände folgen. Dann war Schweigen. Kuczok verfiel in Lethargie, so beschreibt er es selbst, fand nicht zurück zur Literatur, fand nicht mehr den richtigen, den eigenen Ton, verzweifelte an seinem Tun.

Schon manche Schreibkrise löste sich im Schreiben über die Krise selbst. „Lethargie“, Kuczoks zweiter Roman, trägt dementsprechend den Befund im Titel. Drei Geschichten erzählt der 1972 in Chorzów in Oberschlesien geborene Autor, und drei Figuren stellt er zunächst zusammenhanglos nebeneinander. Da ist Adam, ein junger, frisch approbierter Orthopäde. Als Sohn einfacher Eltern hat er es vom Dorf in die Stadt geschafft. Adam steht noch immer im Bannkreis seiner Herkunft und erwacht erst, als er sich in einen halbstarken Jungen verliebt, den er den Süßen nennt und der nicht in die erzkatholische Vorstellungswelt der Eltern passt.

Rosa heißt die zweite Figur dieses Episodenromans – eine Schauspielerin, die an Narkolepsie, vor allem aber unter ihrem Ehemann leidet, der sie nach Strich und Faden betrügt. Er ist zudem ein pedantischer, auf die Bilanzen achtender Geschäftsmann – dagegen rutscht die Lebensbilanz Rosas immer mehr ins Minus.

Schließlich gibt es einen Kollegen des Autors: Robert, ein junger Schriftsteller, dessen Wortmeisterschaft in Einklang stand mit seinem guten Aussehen. Lange ist das her. Er hat die Tochter eines konservativen Politikers geheiratet und tagsüber sitzt er nun tatenlos in einem Souterrain-Büro. Keine Zeile hat Robert in den letzten Jahren geschrieben, er ist ein verstummter Autor, der ahnt, dass jedes neue Buch von der Kritik verrissen werden würde, weil man sein Frühwerk zu hoch gehandelt hat. Robert ist allein – und todgeweiht. Adam überbringt ihm die finale Diagnose. Da erwacht auch er, beginnt ernsthaft zu schreiben, verliebt sich – in Rosa. So schließt sich der Kreis.

„Hör zu und merke dir: Es gibt sieben Todsünden und die schwerste von ihnen ist die Trägheit. Unter vielen Namen wird sie sich vor dir verbergen; meist wird sie als Trübsinn oder Melancholie erscheinen. Gib dich der Lethargie nicht hin, wenn sie dich einmal befällt, lässt sie dich nie wieder los“ – die Lethargie, diese Schläfrigkeit, der Unwille zum Handeln, darunter leiden alle Figuren in Kuczoks Roman. Aber sie winden sich aus dem Dämmerzustand ihres Daseins, erwachen langsam oder abrupt und stehen da mit offenen Augen, am Ausgang aus ihrer Untätigkeit oder vor einem unfassbaren Unglück. Als würden diese Menschen aus einem Dornröschenschlaf aufschrecken und endlich ihr Leben in die Hand nehmen, nachdem sie jahrelang aus der Zeit gefallen waren.

Das als Parabel auf die polnische Vergangenheit und Gegenwart zu lesen, würde den Text überfordern – aber als parabelhafte Erzählung über die Unfähigkeit, einem fremdbestimmten Leben zu entrinnen, darf man „Lethargie“ durchaus verstehen. Kuczok hat dafür einen allwissenden Erzähler gewählt, der sich immer wieder belehrend in die Geschichte einschaltet – „schauen wir uns also eine beispielhafte Situation an“, sagt er altklug über die Brillengläser hinweglugend und macht uns deutlich, dass hier ein Experiment im Schlaflabor abläuft.

Eine Versuchsanordnung braucht prototypische Figuren und muss sich um Feinheiten in der Charakterzeichnung nicht scheren. Das liegt zum einen daran, dass „Lethargie“ zunächst als Drehbuch für einen Film angelegt und dann erst zum Roman ausgebaut worden ist. Es hat aber auch Methode: Vieles erscheint grob gezeichnet, fast klischeehaft und ein bisschen abstrakt, weil eben dies dem Autor erlaubt, jene künstliche Welt zu erschaffen und auch mit trivialem Material zu jonglieren. Manchmal hat das Buch Witz, es ist in seiner ironischen Distanziertheit von Renate Schmidgall schön übersetzt. Es ist nicht so sprachvergessen wie „Dreckskerl“, nicht so eindrucksvoll, aber doch voller Befremdlichkeit und damit auch Faszinationskraft. Es vermittelt das Gefühl der Verlorenheit und am Ende auch eine Weltenthobenheit: Robert landet schließlich auf der anderen Seite und kann endlich alles so beobachten wie ein allwissender Erzähler: „Robert schaut voller Gier; er hat sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er alles gleichzeitig sehen kann.“ Nun, als Jenseitiger, ist er wieder zum Autor geworden, der alle Geschichten im Blick hat. Wojciech Kuczok hat seine Lethargie überwunden.

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