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Feierkasten. Seit 1980 organisiert Jubel-Jette das Berliner Drehorgel-Fest.

© Kai-Uwe Heinrich

Drehorgelparty: Jubel-Jette: Stimmungsmacher, Seelentröster

Vom Küchenlied bis zum "Holzmichel": Am Sonnabend werden 125 Drehorgler über den Ku’damm ziehen, und Jubel-Jette ist das Urgestein der Berliner Drehorgel-Branche. Ein Porträt.

Wenn Christa Hohnhäuser alias Jubel-Jette im Blümchenkleid und mit roter Schleife im Haar hinter ihrer Orgel steht und den Oberkörper zur Melodie wiegt, kriegt man zu hören, was eine Berliner Schnauze ist: „Wat denn, Männeken, nun komm mal rum und schmeiß ’nen flotten Riemen auf die Orgel!“, fordert Jette ihre Zuhörer auf, sich im Spiel zu versuchen.

Neben Orgel-Oma Margot Wolf, 96, oder dem inzwischen pensionierten Orgel-Ebi gehört Jette zu den Urgesteinen der Branche. Wenn sie ihre 35 Kilo schweren Bacigalupo aus der Garage holt, steht meist was Großes an. Die seltene Drehorgel ist ihr ganzer Stolz, „der Rolls Royce unter den Leierkästen“, erklärt sie, aus der Werkstatt der berühmten Berliner Drehorgelbauerdynastie in der Schönhauser Allee. An diesem Freitag beginnt am Breitscheidplatz die 12. Internationale Drehorgelparty – nach dem Waldkircher Orgelfest die weltweit zweitgrößte Veranstaltung dieser Art. Zum 125. Jubiläum des Ku’damms werden am Samstag 125 Drehorgler über den Boulevard ziehen.

Die Geschichte der Drehorgelparty ist auch die Geschichte von Jubel-Jette. Vor 31 Jahren hat die Spandauerin das Internationale Drehorgelfestival ins Leben gerufen. Damals, 1980, arbeitete sie noch beim Verkehrsamt. Als jemand ihren Chef auf die Idee brachte, Leierkastenmänner aus aller Welt einzuladen, übertrug er ihr die Organisation. Anfangs habe sie sich nicht viel daraus gemacht, erzählt Jette. Aber als sie sah, wie sich die Fröhlichkeit des Gesangs auf die Zuhörer übertrug, fing sie Feuer: „Da dachte ich mir: Das will ich auch machen!“

Aus der ersten Faszination entwickelte sich eine Liebe, die mittlerweile zwei Ehen überdauert hat. 1985 gab Christa Hohnhäuser ihren Job im öffentlichen Dienst auf, kaufte sich ihre erste Orgel und stellte einen Antrag für das „Lustbarkeitsgewerbe des Drehorgelspielens“. Das war die Geburt von Jubel-Jette. Das Festival nahm sie mit und gründete den ersten Berliner Drehorgelverein, der das Fest seitdem alle zwei Jahre ausrichtet. Jubel-Jette ist seitdem weit gereist: Sie begleitete Delegationen von Bürgermeister Diepgen und später auch Wowereit immer wieder auf Reisen nach Rom, Budapest oder Hongkong – als Maskottchen, denn „die Drehorgel und Berlin, das gehört zusammen.“

Norditalienische Einwanderer brachten das Instrument Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde sie zum Wahrzeichen der Metropole, als an die 3000 Leierkastenmänner noch vor der Verbreitung von Radio und Grammofon das Straßenbild prägten. 1928 hatte die Orgel ihren größten Auftritt in Brechts „Dreigroschenoper“, wo sie mit der Moritat von Mackie Messer berühmt wurde. Brechts Stück zeigt, was der Leierkasten damals vor allem war: das Instrument der kleinen Leute. Die Drehorgel machte auch „höhere“ Musik der breiten Masse zugänglich. Opern- und Konzertmelodien wurden erst auf die Walze und anschließend auf der Straße und in den Hinterhöfen unters Volk gebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen noch an die 800 Orgelspieler, meist Kriegsversehrte, durch die Trümmer und unterhielten die Berliner beim Wiederaufbau.

Heute kommen Drehorgelspieler aus allen Teilen der Gesellschaft. Die 250 Mitglieder des Berliner Vereins seien „janz unterschiedliche Leute. Akademiker, Hotelbesitzer, auch Arbeitslose. Unser erster Vorsitzender ist ein orgelnder Doktor“, sagt Jette. Nur mit dem Nachwuchs hapert es: „Das Durchschnittsalter im Verband ist 62.“ Die Zahl der Spieler wird wohl weiter zurückgehen. Das liegt daran, dass das Orgeln wenig rentabel ist, professionelle Spieler gibt es kaum noch. Außerdem ist die Anschaffung kostspielig. Kleine Leierkästen gibt es ab 3000 Euro, ein größerer kostet neu an die 25 000. Für Liebhaber- und Sammlerstücke wie eine Bacigalupo kann es auch mal mehr sein.

Wer heute noch orgelt, orgelt aus Leidenschaft. Manche Vereinsmitglieder stecken trotz Schichtdienst jede freie Minute in ihr Hobby, erzählt Jette. Drehorgelspieler, die heute auf die Straße, über Feste oder Jahrmärkte ziehen, mögen den Kontakt zu den Menschen. „Darin liegt die Faszination“, sagt Jette, „zu sehen, wie die Leute auf die Orgel und den Gesang reagieren. Da kann einer mit so ’nem Gesicht ankommen“ – Jette zieht einen Flunsch –, „meistens lächelt der dann doch.“ Ältere seien oft nostalgisch, Jüngere eher neugierig. „Das Gespräch mit den Zuhörern gehört dazu.“

Die Anlässe, bei denen die Orgler heute auftreten, sind vielfältig: Hochzeiten, Jubiläen, Beerdigungen. Mal Stimmungsmacher, mal Seelentröster – das Repertoire ist bunt. Vom Küchenlied bis zum Rocksong oder dem Après-Ski-Hit wird alles auf die Walze gebracht: „Als der Holzmichel-Song in war, wollten alle Spieler eine Rolle davon haben.“

Auch die diesjährige Orgelparty wird musikalisch alles andere als eine Nostalgieveranstaltung. Für Vielfalt sorgen auch die internationalen Gäste, von denen einer seine Orgel aus den USA über den Atlantik bringt, um Disney-Melodien zu spielen. Als Höhepunkt sieht Jette das Konzert in der Gedächtniskirche am Sonntag um 15 Uhr – die Drehorgel sei ja letztlich auch ein Kircheninstrument.

Seit vier Jahren ist die Drehorgelparty wieder am Ku’damm angekommen und hat am Breitscheidplatz ihren Platz gefunden. „Nach der Wende wollten wir natürlich mal im Osten der Stadt spielen, durchs Brandenburger Tor ziehen“, sagt Jette. In Köpenick, Friedrichshagen, am Alex hat der Umzug stattgefunden. Aber am Ende sei der Ku’damm der einzig richtige Ort, hier hat ja auch alles angefangen.

Und hier gab es ganz am Anfang auch den Eintrag ins Guiness-Buch: 300 Orgelspieler im Herzen West-Berlins waren 1983 rekordwürdig. Mittlerweile ist aus dem kleinen Fest eine mittelgroße Veranstaltung geworden, mit Bierbänken für 400 Leute, Marktständen und einer Bühnenshow mit Live-Bands. Der Zulauf zeige, dass die Zeit der Orgel noch nicht vorbei sei, sagt Jette. „Bis jetzt hatten wir nach jeder Drehorgelparty mindestens ein neues Mitglied.“

Internationale Drehorgel-Party am Breitscheidplatz. Fr und Sa 11–24 Uhr, So 11–22 Uhr. Eintritt frei

Martin Ernst

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