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Kultur: Drei Farben kalt

Simon Rattle rettet in Salzburg Claude Debussys „Pelléas und Mélisande“ vor der Abstraktion

Schwarz Weiß Rot sind die Farben dieser Inszenierung, Schwarz und Weiß für einen irregehenden Ästhetizismus, Rot für die letzten Reste von Leben, die an diesem Abend noch in Claude Debussys „Pelléas und Mélisande“ stecken. Wenn sich der Vorhang hebt im Salzburger Festspielhaus und die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle die ersten Töne erklingen lassen, schildkrötenlangsam, wie aus ferner Vorzeit, mit brodelnden Klängen eine aus Untiefen aufsteigende Welt beschwörend, wenn dann Angelika Kirchschlager als Mélisande sichtbar wird und José van Dam als Golaud, der sich beim Jagen im Wald verirrt hat – dann sind auf der Bühne keine Bäume zu sehen und auch keine Quelle, an der die weinende Mélisande sitzt und partout nicht erzählen will, was ihr passiert ist.

Stattdessen eine Reihe von Granitblöcken. Turmhoch. Auf der Leer- und Projektionsfläche dieser Stelen könnte sich das traumartig verrätselte Geschehen des 1895 komponierten, jahrelang überarbeiteten Musikdramas wohl ideal entfalten, jene Eifersuchtsgeschichte also zwischen Mélisande und Golaud und dessen Halbbruder Pelléas, der sich in die Gefunden-Verlorene verlieben und dafür von Golaud erstochen wird.

Es kommt aber anders. Mélisande, ganz in Rot, beginnt mit einem Mann zu sprechen, den Kostümbildner Raoul Fernandez wie alle übrigen Protagonisten in ein fantastisches, paillettenglitzerndes Weiß gekleidet hat. Und dass dieser Golaud viele Meter entfernt steht, wenn er „ich sehe eure Augen an“ singt, „schließt ihr niemals die Augen?“ – das deutet früh auf eine Inszenierung, die aus lauter Angst vor den vielen Seitenwunden der Maeterlinck’schen Textvorlage, den offenen Stellen dieses märchen- und legendenartigen symbolistischen Dramas, den ganzen Abend über keine Nähe erzeugen wird und schon gar keine Intimität.

Regisseur Stanislas Nordey und sein Bühnenbildner Emmanuel Clolus bevorzugen bei dieser Koproduktion mit dem Londoner Royal Opera House stattdessen die Abstraktion. Fast so, als ob sie dem Wagner-Antipoden Debussy unter die Arme greifen und auf jeden Fall alles vermeiden wollen, was in Richtung holzhämmernde Tonmalerei oder Leitmotive weisen könnte. Oder als ob sie dem nachgerade unanständig wohlsituierten Osterfestspielpublikum, dem verwinkelten Gastgeberstädtchen von Anfang an alles Überladene, Pittoreske, ja alle Flausen der Abbildlichkeit auszutreiben suchten.

Nicht in einen Brunnen lässt Nordey seine Mélisande sich beugen und den von Golaud geschenkten Ring verlieren. Sondern in den Orchestergraben. Die schweren Granitblöcke lässt er umherfahren und sich dann triptychonartig öffnen. Von innen strahlt ein gleißendes Licht, und es zeigt sich: Immerneues, immer gleich quälend kühl durchdesignt. Noch die stärksten Stellen schleust Nordey durch die Sterilitätsmaschine. Da hebt etwa Golaud den kleinen Yniold hoch, damit er ihm sage, was Pelléas und Mélisande innen im Zimmer treiben, und hinter den beiden klebt an der TriptychonInnenwand das Liebespaar, stumme Wachsfiguren, die einander im leeren weißen Raum gegenübersitzen.

Freilich gelingt es den Sängern, dem Orchester und schließlich Debussys nervös mäandernder Musik immer wieder, sich über das Bühnengeschehen zu erheben. In Kirchschlagers superber Mélisande. Irre wird sie gehen und mignonhaft auffahren. Bei besagter Mauerschau und Fensterszene, in der der kleine, tapfere, bravouröse Tölzer Knabe seinem mitunter behäbig agierenden Bühnen-Vater van Dam aufgelöst Rapport erstattet.

Trotzdem wäre es ohne Bühne schöner gewesen. Mit der Zeit kann das Ohr kaum anders, als vor der Übermacht, nein: der gleichförmigen Untermacht des Visuellen zu kapitulieren. Kaum vermittelt sich noch, wie brillant Kirchschlager mit Debussys Sprechgesang umzugehen weiß. Simon Keenlyside ist ein exquisit timbrierter Pelléas, dem man gern zuhört, Anna Larsson mit ihrem weich eingedunkelten Mezzosopran eine amazonenhaft souveräne Geneviève. Robert Lloyds seigneuraler Arkel, der warme Bariton von Guillaume Antoines Arzt, schließlich die unendlich feinnervig und lebendig gestaltenden Philharmoniker unter Rattle, dessen Locken strahlen wie der Silberrücken eines heimlichen Alphatiers, das der Leblosigkeit auf der Bühne so viel innere Aufruhr als möglich entgegenzusetzen sucht. Es bleibt eine Inszenierung, die aus einem wunderlichen Grund nicht wehtut: Weil sie die Sinne vollkommen betäubt.

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