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Kultur: Drei im Sinn

Die DT-Kammerspiele verlegen Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ nach Berlin-Mitte

Es beginnt mit einem kleinen Theaterwitz, der freilich mitten ins Dilemma dieses Abends führt. Bevor das Drama um die Geschwister „Ritter, Dene, Voss“ losgeht, schaut der Zuschauer auf einen Theatervorhang aus olivgrünem Samt. Wie in den guten alten, etwas verstaubten Theaterzeiten. Wie damals, Anfang der achtziger Jahre, als Thomas Bernhard das Stück geschrieben hat, und zwar seinen Lieblingsschauspielern Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss auf den Leib.

Claus Peymann besorgte bei den Salzburger Festspielen die Uraufführung. Wie es so schön heißt: ein Triumph. Besonders Gert Voss als labiler Philosoph Ludwig, gerade aus der Psychiatrie ins elterliche Haus zurückgekehrt, tobte wütend und in jedem Sinne maßlos durch das gediegen realistische Bühnenbild Karl- Ernst Herrmanns, das mit seinen Standuhren und Sesseln und dem restlichen Altbauplunder eine höllische Atmosphäre des ewigen Bürgerstillstands verbreitete. An dieses Damals also erinnert der bürgerliche Samtvorhang.

Ironisch, wie sich zeigt, sobald er sich öffnet. Die Bühne von Hans Jörg Hartung ist nämlich jämmerlich nackt. Man sieht ihre technischen Eingeweide und bis hinten zur Brandmauer. Vorn in der Mitte befindet sich ein weißes Spielpodest. Darauf ein weißer Tisch mit weißen, zeitlos hässlichen Stühlen. Rechts sitzt Constanze Becker als jüngere Schwester Ritter und lackiert sich die Fußnägel. Links sitzt Almut Zilcher als ältere Schwester Dene im schwarzen Kostüm und lässt schweigend ihre zwanghaften Gedanken durch den Kopf kreisen. Und noch bevor ein Wort fällt, sieht man förmlich das imaginäre Augenzwinkern des Regisseurs und Zwischenintendanten Oliver Reese, das uns sagt: Wir machen es anders! Ohne Bühnenkrempel, ohne Österreich- Optik, ohne historische Verortung. Allerdings auch ohne Thomas Bernhards Monstrosität, ohne seinen schmerzhaften Wahnwitz, ohne seine ständig überkochende Erregung.

Reese hat die Abgrenzung so ernst genommen, dass er das Stück nicht nur in die Leere eines Berlin-Mitte-Lofts verlegt hat, sondern den Bernhard durch die wohltemperierte Konfliktnettigkeit einer Yasmina Reza ersetzt, durch die hin und wieder Tschechows Melancholieschwaden wehen. Nicht wirklich schlecht, vor allem nicht schlecht gespielt – aber alles andere als von den Sitzen hauend.

Drei Geschwister schmoren in einer Familienhölle, in der, obwohl längst tot, natürlich noch immer die Eltern die Peitsche schwingen. Der philosophierende, zeitweise nach Norwegen und England geflüchtete Sohn kommt über seinen Vater-Hass nicht hinweg; die gelangweilten Schwestern sind dazu verurteilt, alle paar Jahre an dem Theater zu spielen, von dem ihr Vater einundfünfzig Prozent für sie gekauft hat. Trost bietet zumindest für die Schwestern eine radikale Bruder-, also Ludwig-Fixierung.

Almut Zilcher setzt sich wie eine Glucke auf ihren Ludwig, tippt seine Manuskripte, deckt den Tisch, plant und organisiert seine Rückkehr. Immer wieder mit kindlicher Koketterie albern ihre Arme in die Luft werfend, züngelt sie in ihren Fantasien regelrecht am Körper des Geliebten entlang, berauscht von der eigenen Selbstaufgabe, die freilich einer Kastration Ludwigs gleichkommt. Constanze Becker gibt dagegen das motzige Nesthäkchen, das aufgebracht und empört gegen den Wahn der Schwester anredet.

Ludwig, der erst im zweiten Akt zum Essen auftaucht, ist bei Ulrich Matthes ein eher stiller Tyrann, erst aufbrausend, wenn die Übergriffe der älteren Schwester ihm keine Wahl lassen. Matthes ist anrührend in seiner Verlorenheit, aber mitreißend nur ein-, zweimal, wenn er sich – anlässlich der berühmten „Brandteigkrapfen“ und der verhassten zeitgenössischen Kunst – in furiose Wuthöhen schraubt.

Auch wenn die drei die infantilen Aspekte ihrer Figuren detailliert ausschraffieren: Jeder spielt wie für sich, am anderen vorbei. Von Schicksalsgemeinschaft und Leidensabhängigkeit, die ein Familienstück überhaupt erst zum Familienstück machen, ist nicht viel zu spüren.

Wieder heute sowie am 11. und 22. November.

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