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Kultur: Dreierbund der Existenz

Die Erinnerungen des Philosophen Karl Löwith

Unter den drei Großdenkern der Existenzphilosophie ist er der Jüngste – und Unbekannteste. Anders als Karl Jaspers und Martin Heidegger dürfte Karl Löwith selbst mit seinen Hauptwerken „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ und „Von Hegel zu Nietzsche“ nur Kennern ein Begriff sein. Dabei hätte er eine Wiederentdeckung verdient. Wenn irgendeine Philosophie das Prädikat Geistesgeschichte verdient, dann seine. Neun Bände zählen die „Sämtlichen Schriften“, die seit 20 Jahren auf eine kritische Edition warten. Nun sind, mit einem Vorwort von Reinhart Koselleck, immerhin seine Erinnerungen „Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933“ neu erschienen: eine Collage von Betrachtungen, ein Schatz nuancierter Situations- und Charakterskizzen, die ein treffendes Bild dieses Denkers ergeben.

Dabei sind sie bloß ein atemloses Atemholen in der Hälfte des Lebens: Denn Löwith, 1897 in München geboren, war praktisch so alt wie das Jahrhundert, als er sie 1940 in Japan niederschrieb. Schon 1934 war er, Deutscher, Protestant und Jude, aus Deutschland emigriert, zuerst nach Italien, dann, 1936, nach Ostasien. Kurz vor Pearl Harbour gelang ihm 1941 der rettende Sprung in die USA. Erst 1952 kehrte er als Professor nach Heidelberg zurück, wo er bis in die sechziger Jahre lehrte und 1973 starb.

Die so tragische wie fruchtbare Liaison des europäischen Judentums mit der Existenzphilosophie erlebte Löwith auch als persönliche Beziehung zu dem acht Jahre älteren Heidegger, bei dem er sich 1928 habilitierte. Anders als jener hatte er als Kriegsfreiwilliger nicht Briefe sortiert, sondern echtes Pulver gerochen: 1915 bewahrt ihn die italienische Kriegsgefangenschaft davor, am Isonzo verheizt zu werden. Stattdessen lernt er jetzt eitle k. u. k.-Fähnriche, verbohrte preußische Leutnants und nette italienische Unteroffiziere kennen, die ihm heimlich Zigarren zustecken. Nicht einmal solch schlichte Humanität durfte sich der junge Privatdozent 1933 von seinen „arischen“ Marburger Kollegen erhoffen, auch nicht von Heidegger, dessen anfängliche NS-Begeisterung bis heute schwere Schatten wirft. Im Exil legte Löwith ein Fundament, das er nach und nach zu einem Denkgebäude erweiterte. Man möge „Mein Leben“ als einen Grundstein dazu lesen: Wie hier der biografische Bericht über den Zivilisationsbruch mit seiner philosophischen Reflexion in antikisch zwangloser Sachlichkeit verschmilzt, ist meisterlich. Konstantin Sakkas

Karl Löwith: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. Neu herausgegeben von Frank-Rutger Hausmann. Metzler Verlag, Stuttgart 2007. 224 Seiten, 19,95 €.

Konstantin Sakkas

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