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Dresden: Das Schlürfen vor dem Kuss

Alte Bekannte: Die Sammlung Erika und Rolf Hoffmann in Dresden zeigt Doppelbödiges.

Wie kaputt ist diese Welt. Und wie schön. Zerschlagen wie das gläserne Aquarium von Monica Bonvicini, das statt Fischen seine Sprünge ausstellt. Und betörend, weil im Innern von „White“ (2003) ein gleißendes Licht ist, das alles drumherum zum Schweben bringt. Wo immer solche Doppelbödigkeit den Charakter einer Arbeit bestimmt, scheint sie ein Anwärter für die Sammlung Erika und Rolf Hoffmann zu sein. Isa Genzken, Georg Herold, Katarzyna Kozyra und Vanessa Beecroft.

Wer sich im Dresdner Lipsiusbau umsieht, wo die Berliner Kollektion unter dem Titel „Mit dem Fahrrad zur Milchstraße“ gastiert, dem fällt die Zweischneidigkeit der ausgestellten Werke auf. So wie bei Beecroft und ihren lebenden Installationen, für die nackte Frauen über Stunden ausharren müssen und dann auf den ausgestellten Fotografien zu Skulpturen verkrampfen. Oder bei Petty Chang, deren Video „Fountain“ (1999) auf den Steinfußboden im Untergeschoss projiziert wird. Ein Kuss ist zu sehen, ein Schlürfen zu hören. So laut, dass sich eine ältere Dame schimpfend abwendet. Zwei Frauen, igitt. Bis sie dann noch einmal hinschaut und feststellt, dass Chang ihr eigenes Spiegelbild küsst und sich dafür erst mit dem Mund durch eine Wasserschicht trinken muss.

Der Moment lässt ahnen, wie das Anfang der neunziger Jahre mit Dresden und der Sammlung war. Damals planten Erika Hoffmann-Koenige und ihr inzwischen verstorbener Mann Rolf Hoffmann ein eigenes Museum in Dresden. Auf einer Brache gegenüber dem Zwinger sollte Frank Stella eine Kunsthalle errichten. Ein Konglomerat aus skulpturalen Formen. Das Projekt, resümiert heute Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, scheiterte „an konservativen Ressentiments“. Und so erweist sich das Gastspiel im Lipsiusbau als zweischneidige Einladung, weil sie schmerzlich vorführt, was die Hoffmanns seinerzeit aus dem Rheinland nach Dresden getragen hätten. Frühe Bilder von Piero Manzoni und Jesus Rafael Soto, Kinetisches von Gerhard von Graevenitz und tolle Materialarbeiten von Carla Accardi aus den Siebzigern.

Ob auch die Schaukel „Pavilion“ von Monica Bonvicini seinerzeit ihren Platz in der Sammlung gefunden hätte, die als Gummi- und Kettenmonstrum für harte Kerle im Darkroom gedacht ist? Nach den enttäuschenden Reaktionen in Dresden entschied sich das Sammlerpaar bekanntermaßen für den Standort Berlin – und beweist mit der aktuellen Auswahl, wie sehr das Umfeld eine Sammlung prägt. Die rheinischen Wurzeln offenbart etwa von Graevenitz, dem ein ganzer Raum mit beweglichen Bildern gewidmet ist. Ähnlich offen liegen heute die Berlin-Bezüge: von Bonvicinis raumfüllender S/M-Installation im Hamburger Bahnhof über Beecrofts Nackte in der Neuen Nationalgalerie 2005 bis hin zu den wundersamen Frühlingstänzen von Kozyra, die im Haus der Kulturen der Welt zu sehen waren.

So lässt sich die Ausstellung auch als Chronik lesen. Zum Glück, denn das mildert den unversöhnlichen Blick zurück: „Mit dem Fahrrad zur Milchstraße“ mag noch lange unterwegs sein – unterwegs trifft man immer alte Bekannte.

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, bis 20.9.

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