zum Hauptinhalt
Jan Vogler ist ein deutscher Klassik-Star, als Cello-Solist weltweit gefragt. Seit der Spielzeit 2009 leitet er zudem die Dresdner Musikfestspiele.

© Stefan Nimmesgern

Dresdner Musikfestspiele: Die Gedanken im Fluss halten

2012 stehen bei den „Dresdner Musikfestspielen“ drei bedeutende Kulturmetropolen im Mittelpunkt: Prag, Wien und Budapest. Für Intendant Jan Vogler bilden sie ein goldenes Dreieck der Musikgeschichte

Jan Vogler ist kein Weg zu weit. Als Cello-Solist reist er unermüdlich von Konzertsaal zu Konzertsaal. Gerade hat er wieder eine Asien-Tournee absolviert, sechs Städte in acht Tagen. Als Intendant der Dresdner Musikfestspiele lädt er die Besucher ebenfalls gern in ferne Länder ein, animiert sie zu Gedankenflügen rund um den Globus. 2009, zum Neustart des traditionsreichen Frühlingsfestivals, ging es thematisch nach Amerika, in die Wahlheimat des gebürtigen Berliners. Im Jahr darauf blickte Jan Vogler Richtung Russland, und 2011 stand dann Asien im Mittelpunkt, die Länder der aufgehenden Sonne und des boomenden Klassikmarktes. Zur vierten Ausgabe der Musikfestspiele unter seiner Ägide gönnt Jan Vogler sich und seinem Publikum nun vom 15. Mai bis zum 3. Juni ein Heimspiel: „Herz Europas“ lautet das Motto, ein prachtvoller weißer Pfau stolziert dem Betrachter als Titelmotiv entgegen. „Diesen herrlichen Tieren kann man in Wien begegnen“, erzählt Jan Vogler, „sie laufen frei herum im Park des Schlosses Schönbrunn.“ Die österreichische Kapitale bildet die Spitze eines Städte-Dreiecks, das durch Budapest und Prag vervollständigt wird. Drei klingende Namen, drei Kulturmetropolen, in denen die Musik blüht, durch alle Wirren der Zeitläufte hindurch. „Diese Region ist für jeden Instrumentalisten eine Schatztruhe!“, schwärmt Vogler. Da sind natürlich Mozart, Haydn und Beethoven, die Trias der Klassik, da sind aus der nachfolgenden Epoche, als die Nationalstaaten um Souveränität und Selbstbewusstsein rangen, Dvorák und Smetana für die Böhmen, Béla Bartók für die Ungarn. Später dann revolutionierte die zweite Wiener Schule um Arnold Schönberg die europäische Musikwelt, Künstler wie György Ligeti und György Kurtág sorgten dafür, dass volkstümliche, mündlich überlieferte Traditionen bewahrt und in die Moderne überführt wurden. „Unser Pfau ist ein Symbol für die Pracht dieser Städte, ein königlicher Vogel“, erklärt der Cellist. „Ob in Wien, Budapest oder Prag, das Verständnis für die Musik reicht Jahrhunderte zurück, die Würde der alten Zeit ist immer geblieben, auch in den Phasen des Verfalls.“ Aus der Dekadenz der k.u.k-Monarchie erwuchs ab 1870 eine Gegenbewegung, eine Energie, die sich in den Sinfonien von Gustav Mahler Bahn bricht. Eine Entwicklung, die erst zur Ausreizung des traditionellen tonalen Systems bis an seine äußersten Grenzen führt und schließlich in der Erfindung der Zwölftontechnik kulminiert. „So erschreckend die Musik Schönbergs für viele Hörer immer noch sein mag, die Avantgarde, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Wien, Prag und Budapest entstand, ist viel weniger aggressiv als jene in Paris oder Moskau“, findet Vogler. „Da klingt alles weniger scharfkantig, da schwingt auch bei den fortschrittlichsten Komponisten immer eine Sehnsucht nach dem Verlorenen mit. Insofern hat unser Jahresthema auch viel mit positiver Nostalgie zu tun.“

Der stilistische Reichtum der Region

Doch nicht nur die städtischen Kunstszenen im „Herz Europas“ interessieren den Festivalmacher. Er will gleichzeitig auch ins Land blicken, entlang der beiden großen Ströme Donau und Moldau eintauchen in den vielstimmigen Klangfluss der Region: „Da entdeckt man einen ungeheuren stilistischen Reichtum. Da ist die Volksmusik, da sind die Einflüsse aus Südosteuropa, aus dem Balkan. Und da ist natürlich die so genannte ,Zigeunermusik', die alle Komponisten inspiriert hat, bis hin zu Brahms.“ Mit „Muzsikás“ kommt Ungarns bekanntestes Ensemble nach Dresden, das in der überlieferten Tradition der Dorfmusikanten spielt. Die großartige, mitreißende Geigerin Patricia Kopatchinskaja wird sich zusammen mit Künstlerfreunden und musizierenden Familienmitgliedern ebenfalls osteuropäischer Folklore widmen. Über das Herrscherhaus der Habsburger stellt das Festival eine Verbindung zu Dresden her – gab es doch über die Jahrhunderte mannigfaltige eheliche wie geistige Verbindungen zwischen Sachsen und dem „Herz Europas“. Ganz in diesem Sinne reist das französische Ensemble Café Zimmermann mit Werken der am Dresdner und Wiener Hof gefeierten Barockkomponisten an die Elbe, eine wilde Wiener Melange versprechen „The Philharmonics“, eine Truppe, die sich aus Mitgliedern der Wiener Philharmoniker rekrutiert. Mit den Wienern in voller Orchesterstärke wird sich hingegen Daniel Barenboim dem Klassischsten der Klassik widmen, nämlich den letzten drei Sinfonien Mozarts. Die Camerata Salzburg und Thomas Zehetmair haben sich dagegen dessen „Prager“ Sinfonie ausgesucht.

Kartenverkauf um 100 Prozent gesteigert

Christian Thielemann wiederum, der designierte Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle, bricht mit seinen Musikern in die Klangwelten von Anton Bruckners 8. Sinfonie auf. Wien als Epizentrum der Gesangskunst will die Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager beschwören, die junge Geigerin Dalia Dedinskaite, die gerade den Wettbewerb „Violine in Dresden“ gewonnen hat, wird Mozarts „Krönungskonzert“ spielen, das der Komponist übrigens einst selbst in Elbflorenz „bei Hofe“ vorgestellt hat. Und natürlich darf ein Gastspiel der Wiener Sängerknaben nicht fehlen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Musik verfemter, von den Nazis vertriebener oder ermordeter Komponisten. „Das ehemalige Ghetto Theresienstadt liegt keine 100 Kilometer von Dresden entfernt. Am 19. Mai wollen wir gemeinsam mit unserem Publikum dorthin reisen. Im Dachtheater des Ghettos, in dem viele künstlerische Persönlichkeiten inhaftiert waren, wird neben Franz Schuberts ,Der Tod und das Mädchen’ auch das dritte Streichquartett von Viktor Ullmann zu hören sein, das 1943 in Theresienstadt entstand.“ Als Interpreten hat Jan Vogler für dieses besondere Konzert das Pavel-Haas-Quartett aus Prag eingeladen. Die seit 2002 bestehende Formation hat sich nach dem 1899 geborenen Komponisten benannt, der als hoffnungsvollstes musikalisches Talent Tschechiens galt und 45-jährig in Auschwitz sterben musste. Auch die „Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden“ spielt ein Haas-Werk bei ihrem Konzert in der Synagoge am Elbufer. Daniel Hope und Sebastian Knauer wiederum beweisen ihr großes Gespür für Programmkonzeptionen mit einem Konzert im Deutschen Hygiene- Museum, dessen Werkauswahl sich auch mit der Geschichte seines Aufführungsortes auseinandersetzt. Im vierten Jahr unter Jan Voglers Leitung haben die Dresdner Musikfestspiele einen erstaunlichen Wachstumsschub erlebt. „Wir konnten für 2012 den Anteil der Eigenproduktionen deutlich steigern“, berichtet der Cellist. Nachdem es gelungen ist, Dresden wieder zurück auf die internationale Festival-Landkarte zu holen, kann Vogler jetzt zusätzlich zu den Gastauftritten der Großen so manches Herzensprojekt verwirklichen. Wie zum Beispiel das eigene Festivalorchester, oder die Einladung besonders interessanter Kammermusiker ins barocke „Palais im Großen Garten“ mit seiner glasklaren Akustik. Möglich wird das alles nicht etwa durch eine Aufstockung der staatlichen Subvention, sondern durch die Steigerung der Eigeneinnahmen des Festivals. „Innerhalb der letzten drei Jahre konnten wir den Kartenverkauf um 100 Prozent steigern“, sagt er. Wenn es um das musikalische „Herz Europas“ geht, das möchte der kosmopolitische Cellist beweisen, gehört Dresden unbedingt mit dazu!

Zur Startseite