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Kultur: Drogenabhängigkeit: Einstieg für den Ausstieg

Freitagnachmittag, 14 Uhr, Kottbusser Tor im Berliner Bezirk Kreuzberg. Trauben von jungen Menschen umlagern zwei Wohnmobile von "Fixpunkt e.

Freitagnachmittag, 14 Uhr, Kottbusser Tor im Berliner Bezirk Kreuzberg. Trauben von jungen Menschen umlagern zwei Wohnmobile von "Fixpunkt e.V.". Der überwiegend mit Senatsmitteln finanzierte Berliner Verein kümmert sich seit 1990 um Drogenabhängige und andere Randgruppen. Der "Kotti" ist einer der markantesten Treffpunkte der Drogenszene. Der größere Wagen bietet heiße Getränke, belegte Brötchen und Suppe. Nebenan gibt es medizinische Hilfe, von Zahnschmerztabletten bis zu kleinen chirurgischen Eingriffen wie die Spaltung von Spritzenabszessen.

Ziel derartiger Drogenprogramme in Berlin sind die Vorbeugung vor typischen Folgeerkrankungen der Heroinabhängigkeit und der Verhütung von Schlimmerem. Dafür sind die Schwellen, die es zu überschreiten gilt, besonders niedrig gehängt. Obwohl die meisten Süchtigen als Sozialhilfeempfänger Anspruch auf einen Krankenschein haben, finden sie meist nicht den Weg zum Hausarzt. Die Gründe sind vielfältig: Angst, Unsicherheit und die Erfahrung, als Suchtkranker schief angesehen zu werden. Und wer ins Methadonprogramm gelangt ist, möchte auf keinen Fall, dass der Arzt, der die Ersatzdroge verschreibt, vom möglichen Beikonsum erfährt. So wenden sich viele Suchtkranke lieber an Hilfseinrichtungen, wo sie auf Wunsch anonym bleiben können.

Kernpunkt der Arbeit mit Drogenabhängigen, die auch am Kottbusser Tor zunehmend unter den wachsamen Augen von Zivilpolizisten erfolgt, ist neben Beratung und Behandlung die Aufklärung über Ausstiegsmöglichkeiten und über gesundheitliche Gefahren. Und die beschränken sich keineswegs auf die vielbeachtete Überdosis. Für deren Behandlung hat Fixpunkt eine Reihe von Drogenabhängigen, die meist zuerst am Ort des Geschehens sind, geschult und mit dem Gegenmittel ausgerüstet. Im Unterschied zum vorherrschenden Bild gehen die übrigen Gesundheitsgefahren indes nicht von der eigentlichen Droge aus, sondern von ihrer Anwendung und der Beschaffungskriminalität. Es gibt Beispiele von Ärzten, die morphinabhängig wurden, bei denen geringere körperliche Schäden auftraten, als bei Alkoholabhängigen.

Bei vielen Heroinabhängigen führen schmutzige Spritzen, die verzweifelte Suche nach Venen und die Injektion in tiefer gelegene Blutgefäße nicht nur zu Hepatitis und HIV, sondern auch zu Wundinfektionen, Abszessen oder Herzklappenentzündungen.

Prävention ist bekanntlich billiger als heilen. Und sie trägt zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Es hat eine Weile gedauert, eh sich diese Auffassung auch im Umgang mit Drogenabhängigen durchgesetzt hat. Strenge Moralvorstellungen und die Betonung der kriminalistischen Bedeutung von Heroinabhängigkeit verstellten lange den Blick für ein pragmatischeres Vorgehen.

Mittlerweile gehören der Tausch gebrauchter Spritzenbestecke und die Ausgabe von Kondomen in Berlin zum Angebot der Drogenhilfsorganisationen. Allein bei der Einführung von "Fixerstuben" und der überwachten Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige hinkt die deutsche Hauptstadt hinter anderen Drogenmetropolen wie Frankfurt und Zürich her.

Ein ganz anderes Problem ist durch den Fall des 19-jährigen afrikanischen Dealers in Hamburg wieder brandaktuell geworden: die Gefahr durch den Brechmitteleinsatz der Polizei. Auch Berliner Krankenhäuser sehen sich immer wieder mit der Aufforderung konfrontiert, vermeintlichen Drogenhändlern Brechmittel zu verabreichen oder gar den Magen auszupumpen. Im Unterschied zu den Hamburger Kollegen liegt hierzu keine Grundsatzerklärung der Berliner Ärztekammer vor.

Aber einige Berliner Kliniken wie das Urban-Krankenhaus im Brennpunktbezirk Kreuzberg verweigern derartige Eingriffe strikt. Es gab wiederholt Versuche, diesen Konflikt mit der zuständigen Polizeistelle zu klären. Mehrere Präzedenzfälle belegen die Gefahr eines solchen Vorgehens, das im klaren Widerspruch zum hippokratischen Eid der Ärzte steht.

Jens Holst

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