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Kultur: Du bist die Supermaus

Willkommen im Altersheim: Helge Schneider, das schreckliche Kind, im Berliner Admiralspalst

Er nimmt die Flasche Mineralwasser. Schraubt den Verschluss auf. Trinkt einen Schluck. Dreht zu. Kommentiert den spektakulären Vorgang. Wiederholt ihn immer wieder.

Zusammengerechnet summiert sich der trockene running gag, Durstlöschung des Entertainers nebenbei und zwischendurch, zum zeitraubendsten Stück der Vorstellung. „Ihr habt ja Zeit mitgebracht“, sagt er. „War doch bis jetzt ein schöner Abend. Ist nur bald vorbei.“

Er wischt gefühlten Schweiß von der Stirn. „Ich tue nur so, um die Zeit zu überbrücken,“ sagt Helge Schneider. „Wir alle überbrücken nur die Zeit. Jaja, der Sensenmann.“

Er schaut das Publikum im Admiralspalast an und denkt an früher: Als man den Eltern am Heiligabend sagte, dass man ausziehen will. Als man „Ficken unterm Weihnachtsbaum“ praktizierte – „um so ein bisschen zu protestieren“. Auf der Bühne wechselt eine Mini-Plastiktanne im Sekundentakt die Farben. „Ohne euch wäre der Saal wahrscheinlich leer,“ sagt der Schaumeister, „denn die anderen kommen erst morgen.“ Er hasst es, seine Gemeinde berechenbar zu bedienen. Wenn sture Fans den Ohrwurm „Katzeklo“ bestellen, fragt er sie, wie alt sie sind.

Wie alt er sich wohl selber fühlt? Er kn(!)ackt geschlossene Formen.

„I brake together“ heißt die Tournee. Was so ein Versprechen einerseits bedeutet, demonstriert der Pianist Schneider: Wenn er den Titelsong – ein Shuffle mit Klapphornversen – unterbricht und sich zappelnd zu Boden wirft: „Die Welt ist krank und der Arzt hat frei / Jetzt ein Brötchen mit Kartoffelbrei“. Andererseits gibt er als Ausbremser des Amüsierbetriebes den Entschleuniger. Manche Versuche, sich ihm (Träger des Ruhrpreises für Kunst und Wissenschaft 2005!) feuilletonistisch zu nähern, haben schon das Gesamtkunstwerk Schneider umkreist, den Jazzer, Komiker, Filmemacher. Zugleich wirft bereits jetzt die Filmrolle seines Lebens, eine Darstellung Hitlers in Dani Levys „Mein Führer“ (Kinostart 11. Januar), historische Schatten auf seine Künstlerkarriere, die unscheinbar in einem Stall bei Mülheim an der Ruhr begonnen hatte. Kommende Generationen werden die „singende Herrentorte“, wie der Entertainer in seinen Tingeljahren genannt wurde, fortan nur irgendwo zwischen Joachim Fest und Karl Valentin verstehen können. Am Vorabend dieser Offenbarung ist es allen braven Berliner Kryptoanarchisten noch einmal vergönnt, ihr enfant terrible als Selbstdarsteller zu erleben.

Er ist der Gegenerzähler. Zerhackt alles zur Miniatur. So klein kann kein Plot sein, dass dieser Poet den dramaturgischen Bogen nicht lustvoll zertrümmerte. „Bitte geh nicht vorbei“ ist die hinterhältige Schnulze einer „unerfüllten Liebe, die nur in den Tränen Ausschlag findet“: Da stürzen Fragen der Sehnsucht – „bin ich dir denn nichts wert, was mach ich denn verkehrt“ – ab in die Erfüllung der „Zufriedenheit“, den gemeinsamen Karrusselritt: „halbe Stunde, zehn Euro“. Das Beziehungsepos „Du bist die Supermaus“ präsentiert eine Alltagsstory, von der Hormonekstase bis zum Allein-hinter-der-Gardine-rumstehen: als gehetzte Paar-Minuten-Ballade. Die Geschwindigkeit der Song-Erzählungen steht im Kontrast zur Stagnation der perfekten Langeweile-Moderation. Worte und Bedeutsamkeiten verheddern sich; die Musik geht mit dem verschämten Romantiker durch. Eben hat er noch sein Fläschlein („für Ebay!“) den Fans zugeworfen, da piepst er „Fly me to the moon“ mit der Blockflöte. Sülzt eine pomadige Liebeserklärung. Und beginnt – „fill my heart with songs“ – ungebremst in den Swing-Himmel abzuheben.

Er bleibt das Spielkind.

Natürlich ist er auch ein professioneller Musikclown mit Super-Timing, ein klasse Pianist; außerdem so geschäftstüchtig, dass seine Marke vom Insider-Vergnügen zum populärpubertären Massenspaß getunt werden konnte, obwohl es ihn nicht, wie er sagt, als Plüschtier gibt.

Aber seine Eiertänze kommen aus dem Bauch. Keine Vorstellung gleicht der anderen, die Tagessinspiration schwankt enorm. Er umbalzt trippelnd, als pfauenhafter Showbiz-Geck, den Mikroständer. Findet immer wieder ein Haar von Jopi Heesters, der kurz vor ihm auf dieser Bühne stand; sinniert über den Haken da oben, an dem der Greis durch die Weihnachtsshow gehievt wurde. Er liefert mit sich selbst ein tränentreibendes Song-Duett Lindenberg/Schneider: Schnodderschnauze gegen krächzende Kinderstimme. Ist dabei selbst, wie Jopi und Udo, jenseits der 50.

Und er spielt: Klavier, Trompete, Vibraphon. Sein Schlagzeuger Pete York gibt ein Zehnminuten-Solo: Kaskaden, Explosionen. „Willkommen im Altersheim“ hat Master Schneider vorher annonciert. Danach will man nie wieder Rhythmusmaschinen hören. Zur temperamentvollen Band gehören ein Kontrabassist und Tubist, ein Gitarrist, zwei Percussionisten. Skurrile Persönlichkeiten. Man gibt Swing und Boogie. Die Zugabe ist das schönste Stück. Ein paar Gaga-Reime über den Bauer und seine Hühner, dann ein Groove, der die Herzen hoch schlagen lässt. Das Tempo verlangsamt sich. Der Pianist spielt die Tonleiter. Schlägt sich auf die Hand. Die Form bleibt offen. Willkommen im Kinderzimmer.

Admiralspalast, bis 7. Januar 2007

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