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Kultur: Du heißt Wind, und du heißt Regen

Ein Nô-Spiel, getanzt: Sasha Waltz inszeniert Toshio Hosokawas „Matsukaze“ im Schillertheater

Schönheit ist vergänglich, doch im Augenblick ihrer Präsenz kann sie überwältigen und nachhaltig sein. Aus dem Vollen schöpft Sasha Waltz in ihrer choreografischen Inszenierung des Musiktheaterwerks „Matsukaze“ von Toshio Hosokawa. Die Produktion des Brüsseler Théâtre Royal de la Monnaie ist nach Stationen in Warschau und Luxemburg nun an der Staatsoper im Schillertheater zu sehen – eine heftig beklatschte deutsche Erstaufführung im Rahmen des Festivals „Infektion“.

Auge und Ohr bekommen reichlich zu tun in dieser Adaption (Libretto: Hannah Dübgen) eines Nô-Spiels aus dem 15. Jahrhundert – einer Theaterform, die aus karger Reduktion lebt. Ein Mönch kommt auf einer Pilgerreise auf die Insel Zuma, wo ein Fischer ihm eine erstaunliche Geschichte erzählt: Die Schwestern Matsukaze (Wind in den Kiefern) und Murasame (Herbstregen) liebten einst denselben Mann, Yukihira. Die Idylle eines scheinbar eifersuchtsfreien Zusammenlebens findet ein jähes Ende, als der junge Edelmann in die Hauptstadt zurückberufen wird. Die unerfüllte Sehnsucht lässt die Schwestern auch nach dem Tod keine Ruhe finden. Als Gespenster begegnen sie dem Mönch, dessen Gebete nicht helfen; und sie befreien sich von der „Anhaftung“ an ihr alles verschlingendes Liebesbegehren durch ein neuerliches Durchleben ihrer Gefühle, ein Eingehen in die Natur im ekstatischen Tanz.

Der buddhistische Vorgang der Seelenreinigung macht also die theatralische Handlung aus, die Sasha Waltz dramatisch aufzufüllen sich müht. Und ihr gelingt ja auch Erstaunliches, in großen Bildern. Wenn zu Beginn die Sänger und Sängerinnen des Vocalconsort Berlin am linken Bühnenrand Platz nehmen, ihre Truppe von rechts hereinwirbelt und sich zu weich fließenden Pas de deux zusammenfindet, dann fasziniert der Gegenstand von Statik und Bewegung. Waltz‘ Anspruch, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, erfüllt sich, indem sie die Ebenen von Tanz und Gesang bruchlos verschmilzt. Aus blaugrauen Nebeln löst sich Frode Olsen als Mönch, als befände er sich mitten in Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“. Mit schwarzen langgezogenen Basstönen ist er der Ruhepunkt in diesem ganzen Weben und Streben nach Glückserfüllung. Kai-Uwe Fahnert steht ihm als Fischer mit abgerundetem Bariton nicht nach. In den morbid-eleganten Kostümen von Christine Birkle fügen sich Barbara Hannigan und Charlotte Hellekant als stimmstarke Schwestern nahtlos in die Truppe ein, können auch tänzerisch während steigender sängerischer Erregungskurve mithalten. Und wenn gleich zwei Ausstatterinnen den Handlungsrahmen bauen – Chiharu Shihuta ein schwarzes Fadengeflecht, in dem die Sängerinnen sich vergeblich zum Mondlicht kämpfen wollen, Pia Maier Schriever einen strengen Holzrahmen für die Szenen der „Realität“ – dann wird klar, mit welchen Verstrickungen man es hier zu tun hat: „Zu eng zum Leben faulen wir dahin“.

Auch die Musiker leisten Großes. Wie ein feines Gespinst legt sich Hosokawas Musik um die Szene: sie strömt und rauscht, prasselt und gurgelt, schwappt auf und ab wie die Gezeiten, ein einziger Naturlaut. Sie speist sich aus zartesten Streicherlinien, ist fast immer vom hell metallischen Klang der Fûrin (japanische Windglocken) gefärbt, kann sich auch durchaus dunkel drohend zusammenballen. Für Hosokawa, der gleich seinem Lehrer Isang Yun zum Grenzgänger zwischen fernöstlicher und westlicher Kultur wurde, kommt der Klang aus der Stille und geht in sie zurück; und so setzt auch Wind- und Wasserrauschen vom Band den Schlusspunkt, als ein unmerkliches Zurückgleiten in die Natur. Der junge spanische Dirigent Pablo Heras-Casado hält die Fäden dieser Musik mit bewundernswerter Übersicht zusammen, animiert die Staatskapelle Berlin zu transparent nuancierter Klanggebung, kalligraphischen Pinselstrichen gleich.

Ist das nicht alles viel zu viel? Auch dann, wenn es der Musik sozusagen die Sprache verschlägt, hört Waltz nicht auf, ihre vielarmigen, asiatische Zeichenhaftigkeit beschwörenden Körperskulpturen zu bauen. Oder umgekehrt: Wenn der intensive, sich in Seufzerketten übersteigernde Gesang schweigt, kommt der unpathetischere Tanz erst zu seinem Ausdrucksrecht. Das letzte Bild, in dem eine bräutlich gekleidete Asiatin zögernde Schritte aus der Szene hinaus, ins Freie tut, ist eindrücklicher als die ganze ästhetische Überladung. Gleichwohl wirkt ihre Künstlichkeit sehr „japanisch“ und lässt so an die Katastrophe von Fukushima denken, die sich kurz vor der Uraufführung ereignete. Doch einer Aktualisierung wurde widerstanden; sie hätte ohnehin nur hilflose oder zynische Nachbildung sein können. So wirkt „Matsukaze“ wie ein Gegenbild zum Entsetzlichen, das der Mensch verursachte, als Aufruf zur Versöhnung mit der Natur: Auch Vergänglichkeit kann schön sein.

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