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Kultur: Du kannst die Konzerne nicht besiegen, du darfst aber nie kapitulieren

Nachfragen gefährdet die Gesundheit: Michael Manns brillanter Reality-Thriller erzählt vom Kampf eines Chemikers gegen die Tabak-MafiaFrank Noack Rauchen gefährdet die Gesundheit, das weiß jedes Kind. Raucher sind selbst dafür verantwortlich, wenn sie irgendwann einmal Lungenkrebs bekommen.

Nachfragen gefährdet die Gesundheit: Michael Manns brillanter Reality-Thriller erzählt vom Kampf eines Chemikers gegen die Tabak-MafiaFrank Noack

Rauchen gefährdet die Gesundheit, das weiß jedes Kind. Raucher sind selbst dafür verantwortlich, wenn sie irgendwann einmal Lungenkrebs bekommen. Und wenn sich herausstellt, dass den Zigaretten Sucht steigernde Wirkstoffe beigefügt wurden, ändert das nichts an der grundlegenden Problematik. Warum also sollten wir uns für einen Mann interessieren, der sich mit der Tabakindustrie anlegt, indem er die Verschwiegenheitsklausel im Arbeitsvertrag missachtet und Betriebsgeheimnisse verrät? Die Antwort steht schon nach wenigen Minuten fest: "Insider" ist sehenswert, weil Michael Mann Regie führt - und weil Russell Crowe die Hauptrolle spielt.

Michael Mann ("Miami Vice", "Heat") interessiert sich überhaupt nicht für Nikotin und dessen Nebenwirkungen. Ihn interessiert einzig und allein die Psyche eines Mannes, der seine materielle Sicherheit und sein Familienglück aufs Spiel setzt, um mit brisanten Fakten an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie bequem wäre es gewesen, den "Insider" Dr. Jeffrey Wigand als strahlenden Held zu zeichnen, der von einem übermächtigen Konzern eingeschüchtert und an den Rand des Selbstmords getrieben wird. Statt dessen haben sich Mann und sein Hauptdarsteller für einen schwierigeren Weg entschieden, der wegen seiner Realitätsnähe viel stärker unter die Haut geht: Wigand ist ein Sonderling, ein sozial gestörter Fachidiot, emotional gehemmt. Wenn seine Frau ihn mit den beiden Töchtern verläßt, wird keine heile Welt zerstört, sondern eine kaputte Welt als solche entlarvt.

Der 35-jährige Hauptdarsteller Russell Crowe hat bereits in seiner australischen Heimat eine erstaunliche Vielseitigkeit bewiesen und als romantischer Liebhaber ebenso überzeugt wie als debiler Skinhead in "Romper Stomper" oder als schüchterner Teenager. Im Brot-und-Spiele-Historienschinken "The Gladiator" wird er uns demnächst in Sandalen entgegentreten. "The "Insider" ist der erste Hollywoodfilm, der ganz auf seiner Darstellungskunst aufbaut. Crowe erreicht mit seinem Spiel, dass wir von Jeffrey Wigand gerührt sind, obwohl dieser Mann so gar nichts Liebenswertes an sich hat. Crowe hat sich die Haare grau färben lassen und an Gewicht zugelegt. Er stockt manchmal beim Sprechen, rückt sich die Brille zurecht und zieht sich die schlecht sitzende Hose hoch. Dabei übertreibt er nie, er liefert keine selbstverliebte Dustin-Hoffman-Nummer ab. Dass Jeffrey Wigand gern trinkt und seiner Frau einmal Gewalt angedroht hat, wird ganz beiläufig erwähnt. Ein totaler Verlierer ist er auch nicht, schließlich hat er es zum Chef der Forschungsabteilung bei dem Tabakkonzern Brown & Williamson gebracht. Crowe macht deutlich, dass Wigand trotz seines unscheinbaren Äußeren eine Respektperson ist. Wenn er im Zweiergespräch langsam auftaut, kommt sogar Humor zum Vorschein. Solch eine Figur hat es im Kino noch nicht gegeben.

Wigand kämpft nicht allein. Der erfahrene Fernsehjournalist Lowell Bergman (Al Pacino) gibt ihm die Gelegenheit, in "60 Minutes", dem Politmagazin mit den höchsten Einschaltquoten, vor 30 Millionen Zuschauern die Tabakindustrie anzuklagen. Das Interview mit Wigand wird aufgezeichnet, aber nicht gesendet, denn der Sender CBS fürchtet sich vor einer Millionenklage. Bergman, der Kämpfer für die Wahrheit, wird beurlaubt. Er zerbricht aber nicht an der Korruption, die sich in seiner Branche breitgemacht hat, weil er über eine stabilere Persönlichkeit als Wigand verfügt. Die Ehefrauen der beiden sprechen für sich: Liane Wigand (Diane Venora, eine Seelenverwandte der gestörten Vorstadt-Insassin Annette Bening aus "American Beauty") ist nur Hausfrau und Mutter und erwartet von ihrem Mann, genügend Geld nach Hause zu bringen. Als er entlassen wird, dreht sie durch. Dagegen ist Sharon Bergman (Lindsay Crouse) beruflich unabhängig. Sie und Lowell leben harmonisch aneinander vorbei.

Wenn es eine Liebeshandlung gibt, dann findet sie zwischen Bergman und Wigand statt. Ihr erster Kontakt per Fax ist ein Moment von großer emotionaler Intensität. Dass Bergman weinrote und Wigand blaue Hemden trägt, bestätigt das alte Vorurteil, dass Gegensätze sich anziehen.In zehn Berliner Kinos, OV im Babylon und im CinemaxX Potsdamer Platz

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