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Kultur: „Du musst das tun“

Stauffenbergs Gefährten: Antje Vollmer und Lars-Broder Keil erinnern an vergessene Widerstandskämpfer.

Dass er mit dem Leben davonkommen würde, damit hatte Ewald- Heinrich von Kleist nicht gerechnet. Er hat nicht einmal geglaubt, dass er lebend die Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße erreichen würde, nachdem er am 20. Juli 1944 zusammen mit anderen Verschwörern im Bendlerblock verhaftet worden war. Bei der Einfahrt ins Gefängnis dachte er an Dantes „Göttliche Komödie“. „Da steht über dem Tor zur Hölle: ,Lasst, die ihr hier eingeht, alle Hoffnung fahren.’ Mir fiel das wirklich ein, und ich dachte, das ist ja ganz schön, dass ich, bevor ich sterbe, an so etwas denke. Ist das nicht etwas eitel?“ Aber seine Gesprächspartner entgegnen: „Nein gar nicht. Warum soll das eitel ein? Sie waren mit 22 Jahren der jüngste der Beteiligten am Staatsstreich.“

Ewald-Heinrich von Kleist ist vor ein paar Tagen 90-jährig in München gestorben, wo er Anfang der sechziger Jahre die Wehrkundetagung gegründet hatte, aus der später die Konferenz für Sicherheitspolitik wurde. Er war der letzte Zeitzeuge aus dem Kreis um Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der am 20. Juli in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier, der „Wolfsschanze“, die Bombe zündete, die den Diktator töten sollte. Antje Vollmer und Lars-Broder Keil haben für ihr gerade erschienenes Buch, in dem sie Stauffenbergs vergessenen Mitstreitern ein Denkmal setzen, noch ein ausführliches Interview mit Kleist führen können.

Im lakonischen Tonfall erzählt der Veteran von den Ängsten und Skrupeln, dem Eigensinn und der Tapferkeit seiner Jugend. Das NS-Regime, sagt er, habe lange „fabelhaft funktioniert“, es zu beseitigen sei „unsagbar schwer“ gewesen. Als junger Leutnant hatte er viele Soldaten sterben sehen und später in Berlin schwere Bombenangriffe erlebt. „Und diese Not, die ich gesehen habe, diese Tode – das hat mich bewogen, etwas zu tun. Damit das aufhört, dass diese Menschen sinnlos sterben.“ Kleist, 1922 in Pommern geboren, war in einem NS-kritischen Elternhaus aufgewachsen. Stauffenberg fragte ihn Anfang 1944, ob er bereit wäre, sich bei einer Präsentation neuer Uniformen mit Hitler in die Luft zu sprengen.

Kleist bat um einen Tag Bedenkzeit und fuhr zu seinem Vater. Der Vater schärfte ihm ein: „Du musst das tun. Wer in so einem Moment versagt, hat nie wieder Freude am Leben.“ Aber Hitler sagte seinen Besuch im letzten Moment ab, das Attentat fand nicht statt. Ob es stimme, dass der Tod Soldaten nicht schrecke, wollen die Interviewer wissen. „Das ist ganz falsch“, antwortet Kleist. „Der Tod war ein gewaltiges Thema. Auch für uns Soldaten. Wenn Sie jung sind, finden Sie den Gedanken an den Tod nicht sehr erfreulich.“ Der Offizier überstand die Gestapo-Verhöre und fünf Monate im Konzentrationslager Ravensbrück. Im Dezember 1944 wurde er überraschend aus der Haft entlassen. Sein Vater, der von den Verschwörern als Beauftragter für Pommern vorgesehen worden war, ist hingerichtet worden.

Mit ihrem Buch schließen die ehemalige Grünen-Politikerin Vollmer und der „Welt“-Redakteur Keil eine Lücke. Die zehn Widerstandskämpfer – neun Männer und eine Frau –, die der Band vorstellt, sind in der Literatur über den 20. Juli bisher allenfalls als Nebenfiguren vorgekommen. Dabei haben alle Mut bewiesen, acht von ihnen bezahlten für die Beteiligung am Attentat mit dem Leben. Einige – wie Albrecht Graf von Bernstorff oder Kurt Freiherr von Plettenberg – bewahrten von Anfang an Distanz zum Regime, andere – wie Hans-Ulrich von Oertzen – hatten sich zunächst für Hitler begeistert. Besonders dramatisch ist die Geschichte von Friedrich Karl Klausing, der mit 24 Jahren als jüngster Angeklagter aus dem Kreis der Verschwörer vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt wurde.

Sein Vater, ein Jurist und überzeugter Nationalsozialist, steigt nach der Besetzung der Tschechoslowakei zum Rektor der Prager Universität auf. Der Sohn überlebt Stalingrad und wird Ordonanzoffizier bei Stauffenberg. Sein Schritt in den Widerstand ist auch eine Geste der Rebellion gegen die Eltern. Kleist nennt ihn einen „Mann, der nie kneifen wollte“. Im Abschiedsbrief an Vater und Mutter spricht Klausing von einer „Schande, die ich über unseren Namen gebracht habe“ und bittet: „So fragt nicht mehr nach mir, sondern lasst mich ausgelöscht sein.“ Dass wir uns jetzt an ihn erinnern, ist das Verdienst des Buches.





– Antje Vollmer, Lars-Broder Keil:

Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer. Hanser Berlin, Berlin 2013. 156 Seiten, 19,90 Euro.

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