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Kultur: Du spielst Islam, ich Amerika

"Folgen Sie mir" sagt der dunkelgelockte Mann mit dem Militarcape. Einige Minuten mussten die Zuschauer am Hintereingang in der Kälte ausharren, dann werden sie durch die Gänge des Podewil geschleust.

Von Sandra Luzina

"Folgen Sie mir" sagt der dunkelgelockte Mann mit dem Militarcape. Einige Minuten mussten die Zuschauer am Hintereingang in der Kälte ausharren, dann werden sie durch die Gänge des Podewil geschleust. Ein "Gelage für Langschweine" wurde angekündigt, mit der Odyssee tischt Helena Waldmann das globale Flüchtlingselend auf. So muss der Genusssüchtige zunächst eine kleine Odyssee durchstehen, ehe Asyl gewährt wird. Zuvor aber noch 50 DM bar an den Schlepper Odysseus, von dem türkischen Schauspieler Adnan Maral mit smartem Lächeln gespielt. Drinnen werden die Zuschauer persönlich in Empfang genommen. Die blonde Gastgeberin in Glitzerjeans ist Circe (Elke Czischek) - ihr zur Seite zaubern Köche vom "labor für angewANDdte ALLtagsliebe" Köstliches herbei. Ein Gastmahl mit Spanferkel und Schweinefaktor. Circes Insel lockt, wie die Festung Europa, mit "unendlichem Fleisch, unendlichen Wein". Mit einem "Close-the border"-Rap beendet die Gastgeberin alle Gemütlichkeit, sie wird zur höhnischen Herrscherin. Der Asylant Odysseus soll die Blondine begehren - und wird in ein fieses Rein-Raus-Spiel verstrickt: Welche Eigenschaften hat der ideale Immigrant? Oder: Du spielst Islam, ich Amerika.

Odysseus, der Fremde an dieser Tafel- steigert er nicht das Bruttosozialprodukt? Fickt er nicht die deutschen Frauen, damit schönere Kinder geboren werden? Diskurs-Häppchen reduzieren die politische Debatte auf ihren zynischen Kern. "Erst das Fressen, dann die Moral", lautet die Dramaturgie. Erst wird die Bouillabaisse serviert, dann auf vier Monitoren das Elend der boat people gezeigt. Gefolgt vom Monolog eines armen Schweines. Luzi, das vietnamesische Hängebauchschwein, das sich die ganze Zeit tot gestellt hat, ein von Circe verzauberter Gefährte des Odysseus, will nicht als Schweinebraten enden. Die Welt als Schlachthaus - Helena Waldmann will dem Theater eine globale Problematik einverleiben, schrumpft sie zugleich auf die Alternative heiliges Gastrecht contra Asylrecht. Seine Hilflosigkeit offenbart dieses Theater auch da, wo es mit dem schlechten Gewissen operiert. Am Ende treibt die Zuschauer nämlich die Sorge um Luzi um. Mitleid mit den armen Schweinen - eine Haltung, die sich selbst desavouiert.

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