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Kultur: Duftnoten zu Geldscheinen

Na, wie riecht es bei Ihnen zu Hause? Immer noch nach kaltem Zigarettenrauch, nach dem gebratenen Kabeljau, den es vor drei Tagen gab, oder nach fauligen Äpfeln, die, so die Legende, Dichterfürst Schiller gern in seiner Schreibtischlade verwahrte?

Na, wie riecht es bei Ihnen zu Hause? Immer noch nach kaltem Zigarettenrauch, nach dem gebratenen Kabeljau, den es vor drei Tagen gab, oder nach fauligen Äpfeln, die, so die Legende, Dichterfürst Schiller gern in seiner Schreibtischlade verwahrte? Oder nach einer animierenden Mischung aus Rosen, Grapefruit und Mango? Diese Variante zumindest führt, wie ich dem „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ entnahm, in der Stuttgarter Buchhandlung Pegasus dazu, dass die Verweildauer der Kunden zunimmt und der Umsatz steigt. Verabschieden wir uns also von der altertümlichen Vorstellung, dass Örtlichkeiten riechen, wie sie „naturgemäß“ (Thomas Bernhard) riechen. Kein Bahnhofsklo muss mehr scharfen Uringestank ausströmen, keine Frittenbude mehr mit Fettodeurs aufwarten – so wie es trendbewusste Taxifahrer seit Jahren verstehen, den ständig wechselnden Ausdünstungen ihrer Fahrgäste mit possierlichen Duftbäumchen zu trotzen.

„Multisensuales Marketing“ heißt das Zauberwort, das uns in den Kaufrausch treiben soll. Es genügt nicht mehr, dass wir in Kaufhäusern mit James-Last- oder Vivaldi-Tönen beschallt werden. Nein, nun beginnt die Duftoffensive, das Air-Design, und bald werden wir uns gänzlich von der konservativen Anschauung „natürlicher“ Gerüche verabschieden. Wenn man überdies um die enge Verbindung zwischen Riechsystem und Gedächtnis weiß, die etwa dazu führte, dass Marcel Proust – ich verkürze das hier ein wenig – Kekse in Lindenblütentee tauchte, sofort seine Kindheit heraufziehen sah und flugs 4000 Seiten „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ schrieb, dann erahnen wir, mit welch perfiden Tricks uns Marketinggurus die Euroscheine aus der Geldbörse ziehen werden.

So hat das Göttinger Institut für Sensorikforschung und Innovationsberatung (ja, so heißt das wirklich) herausgefunden, „dass beruhigender Sandelholzduft die Spontankäufe in einer Buchhandlung nahezu verdoppelt“. Diese Nachricht begeistert und wird jeden trendbewussten Buchhändler zum Weiterdenken animieren: Mit welchen Duftmarken lassen sich welche Novitäten optimal verkaufen? Was braucht der neue Wickert, welche Weihrauchnote sollte über den Stapeln des neuen Papst-Buchs schweben?

Hilfestellung bietet die Firma Voitino Duftmarketing, deren subtile Mixturen sich problemlos mit den Romanen der Saison verknüpfen lassen. Ich empfehle, die Komposition „Happy Day, Blutorange, fröhlich“ für die Hervorbringungen der Moppel- und Runzel-Ich-Nervensäge Susanne Fröhlich einzusetzen, und wenn mal wieder ein Adalbert-Stifter-Jubiläum naht, werden sich die literaturbeflissenen Kunden darüber freuen, mit der Duftwolke „Indiansummer, wärmend, holzig, elegant“ zum Kauf des „Nachsommers“ angespornt zu werden. Warum sollte es in einer Buchhandlung auch nach Papier, Heißleim, Leinen oder Leder riechen?

„Aufschlag“ erscheint jeden Montag. schreibt im Wechsel mit Moritz Rinke.

Rainer Moritz

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