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Gebrauchskunst. Erich Ohser wollte ein Pendant zur „Gebrauchslyrik“ seines Freundes Erich Kästner schaffen. 1928 gestaltete er den Schutzumschlag von Kästners Roman „Herz auf Taille“.

© Südverlag

e.o. plauen Werkausgabe: Selbsterkenntnis braucht Humor

Berühmt wurde er mit „Vater und Sohn“. Doch Erich Ohser alias e.o. plauen hat noch ganz andere Sachen gezeichnet. Eine Werkausgabe präsentiert erstmals sein gesamtes Schaffen.

Er nannte sich e.o. plauen, nach der vogtländischen Textilstadt, in deren Nähe er geboren worden war. Berühmt geworden ist Erich Ohser mit diesem Pseudonym und mit seinen „Vater und Sohn“-Geschichten, schwarz-weißen Witzzeichnungen ohne Text, in denen ein kugelförmiger, walrossbärtiger Vater und sein ananashaariger Sohn die Welt so lange auf den Kopf stellen, bis man nicht mehr weiß, wer hier der Erwachsene ist und wer das Kind. Die erste „Vater und Sohn“-Bildgeschichte ist 1934 in der „Berliner Illustrirten“ erschienen, 1936 brachte der Ullstein-Verlag die ersten Sammelbände heraus.

Die Gegenwart der Massenaufmärsche und Hassreden, der Bücherverbrennungen und Judenverfolgung kommt in den schwungvoll-anarchischen Strips nicht vor, der Kritiker Friedrich Luft lobte, sie hätten es geschafft, „in einer ekelhaften, lügnerisch ,total‘ politisierten Epoche“ eine „kleine Oase fast unbekümmerter Menschlichkeit“ zu sein. Ohsers Bücher sind bis heute ununterbrochen lieferbar, sie wurden, in einem guten Sinn, zu Volksbüchern.

Die Arbeit an seiner populären Reihe hat der Zeichner 1937 eingestellt, erschöpft vom Erfolgsdruck und entnervt vom wöchentlichen Veröffentlichungsrhythmus. Natürlich war der Vater auf den Blättern eine verzerrte Version von Ohser selbst, und mit dem Kind war sein Sohn Christian gemeint. Der Künstler hatte durchaus eine Mission, sie war humanistisch: „Es gibt viele Menschen, die können keine Bildgeschichten lesen, und die finden dann, dass es Quatsch ist, was der Zeichner sich da ausgedacht hat“, schreibt er in einem Ausstellungskatalog. „Wer zum Beispiel sich selbst nicht beobachtet und nicht ab und zu über sich selbst lachen kann, der kann auch gar nicht den Humor, der aus der Selbsterkenntnis kommt, erkennen.“ Humor könnte ein Mittel zur Weltverbesserung sein, doch die Nationalsozialisten machten daraus eine Waffe. Dazu später mehr.

Ohser porträtierte befreundete Künstler, sich selbst – und seinen Sohn Christian, das Vorbild für den Sohn in seinen berühmten Geschichten.
Ohser porträtierte befreundete Künstler, sich selbst – und seinen Sohn Christian, das Vorbild für den Sohn in seinen berühmten Geschichten.

©  Südverlag

Aber die „Vater und Sohn“-Geschichten machen nur einen kleinen Teil von Ohsers Oeuvre aus. Das beweist eine opulente Werkausgabe, die fast 500 Arbeiten versammelt, angefangen von akademischen Studien und frühen Illustrationen des Leipziger Kunststudenten aus den zwanziger Jahren bis zu Karikaturen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Praxis des Illustrators, Karikaturisten, Pressezeichners und Bildgeschichtenerfinders gründete „im Wesentlichen auf unermüdliche zeichnerische Praxis“, schreibt Herausgeberin Elke Schulze, die vor vier Jahren die erste Biografie über ihn veröffentlicht hat. Was Ohser vorschwebte, war eine Art von Gebrauchskunst, ein Pendant zur „Gebrauchslyrik“ seines Freundes Erich Kästner: pointiert, massentauglich und scharf in der Aussage. Der Student hatte sich intensiv mit der Zeichenkunst von Alfred Kubin, Paul Kubin und George Grosz auseinandergesetzt. Blätter wie seine kubistisch gezackte Zeichnung zu Kästners Gedicht „Abendlied des Kammervirtuosen“ hätten auch in die Berliner Avantgardegalerie „Der Sturm“ gepasst.

Erich Ohser starb als Regimegegner. Wegen parteikritischer Witze denunziert, wegen „Wehrkraftzersetzung“ und „landesverräterischer Feindbegünstigung“ angeklagt, erhängt er sich, das sichere Todesurteil vor Augen, im April 1944 im Gefängnis von Berlin-Moabit. Da ist er gerade einmal 41 Jahre alt. In der Weimarer Republik hatte Ohser für die gewerkschaftseigene Büchergilde Gutenberg gearbeitet, war als Schnellzeichner in Werner Fincks Kabarett „Die Katakombe“ aufgetreten und hatte mit der SPD sympathisiert. Aber er gehört nicht zu den Helden des Widerstands, sein Fall liegt komplizierter.

Auf einer seiner Karikaturen für den „Vorwärts“ kauert Adolf Hitler zusammengesunken hinter seinem eigenen Plakat: „Mir ist mies vor mir.“ Berühmt geworden ist ein Blatt, auf dem ein Betrunkener ein Hakenkreuz in den Schnee pinkelt. „Dienst am Volk“, lautet die Bildzeile. Und in der Zeichnung „Goebbels macht Toilette“ probiert der künftige Propagandaminister Köpfe in verschiedenen Posen durch. Der Karikaturist verachtete die Nationalsozialisten, ließ sich dennoch von ihnen vereinnahmen und in die Propagandamaschinerie des Joseph Goebbels einspannen. Warum? Vielleicht aus Existenzangst. Und weil er ohne seine Kunst nicht leben konnte.

Bevor er für die Nazis Propagandawerke zeichnete, spießte Ohser Hitler in Karikaturen für die SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ auf (1932, kl. Bild unten). Fotos: Südverlag
Bevor er für die Nazis Propagandawerke zeichnete, spießte Ohser Hitler in Karikaturen für die SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ auf (1932, kl. Bild unten). Fotos: Südverlag

© Südverlag

Nachdem Hitler 1933 Reichskanzler geworden ist, verliert Ohser seine wichtigsten Auftraggeber, die Büchergilde Gutenberg und den „Vorwärts“. Die Büchergilde wird „gleichgeschaltet“, die SPD- Zeitung eingestellt. Schlimmer noch: Die Reichskulturkammer verweigert dem Grafiker die Aufnahme, was einem Berufsverbot gleichkommt. Nicht mehr zeichnen zu dürfen, sagt er, das sei, „als würde man mir einen Arm abhacken“. Die „Vater und Sohn“-Geschichten kann er nur veröffentlichen, weil Goebbels persönlich bestimmt, dass er künftig ausschließlich als „unpolitischer Pressezeichner“ zu arbeiten habe.

„Ich zeichne gegen die Alliierten – und nicht für die Nationalsozialisten“, so hat Ohser gegenüber seinem Freund Hans Fallada seine Arbeiten im Nationalsozialismus gerechtfertigt. 1940 wird ihm die Mitarbeit an der neu gegründeten Wochenzeitung „Das Reich“ angeboten, die von Goebbels als politisch gemäßigtes Hochglanzblatt konzipiert wurde. Ohser nimmt an, wohl auch um seine „UK“-Stellung zu behalten und nicht an die Front zu müssen.

Woche für Woche liefert er aggressive, hassgeladene Karikaturen, die Russland als bösartigen Wolf oder Churchill als verschlagenen Betrüger zeigen. Ein Tiefpunkt. Auf einer Tuschezeichnung für „Das Reich“ hängt eine strahlende Lenin-Sonne am Firmament, der grimmig blickende Revolutionärskopf bringt einen Menschenklumpen auf der Erde zum Schmelzen. „Die große, glückhafte Idee“, höhnt die Unterschrift. „Als erste Rate sieben Millionen Deutsche.“ „Ich will Ihnen keine Freude machen“, versprach Erich Ohser den Betrachtern seiner Bilder. Leider hat er es sich manchmal zu einfach gemacht.

„Erich Ohser alias e.o.plauen. Die Werkausgabe“, herausgegeben von Elke Schulze, Südverlag, Konstanz 2017, 336 S., 49,90 €.

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