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Kunst ist Darstellung unserer Wirklichkeit, ist Feltz überzeugt.

© Mike Wolff

Eberhard Feltz im Porträt: Musikalischer Mentor und Menschenfreund

Eberhard Feltz ist eine Legende unter den Musikpädagogen. Seit 50 Jahren unterrichtet er Violine und Kammermusik. Heute feiert er seinen 80 Geburtstag. Eine Begegnung.

Wie klingt es, wenn man von Eberhard Feltz begrüßt wird? In etwa so: „Ich freue mich, Sie zu sehen. Erzählen Sie von sich! Wir kennen uns ja noch nicht“. Und dann fragt er gleich jovial weiter: „Spielen Sie ein Instrument? Welches?“ Seine Augen lächeln dabei. Aus ihnen blitzt Neugierde am Gegenüber – und eine Zugewandtheit, die herzöffnend ist. Wahrscheinlich liegt darin auch sein Erfolgsrezept als Lehrer, Pädagoge, Professor. 1963 begann er an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Violine und Kammermusik zu unterrichten, und er tut es bis heute, seit über 50 Jahren. An heutigen Dienstag feiert er seinen 80. Geburtstag.

Als Mentor für Streichquartette und andere Kammermusik-Formationen ist Feltz eine Legende – erst in der DDR, wo er das Vogler Quartett unterrichtete, später mit dem Kuss-, Rubens-, Atrium- und Schumann Quartett, mit dem Quatuor Ébène oder dem Busch Trio. Sie alle hat er in langjähriger Ausbildung zu dem gemacht, was sie heute sind. Immer noch unterrichtet er acht Stunden die Woche, bis zu sieben Ensembles. Sohn Gabriel Feltz ist Dirigent geworden und aktuell Generalmusikdirektor in Dortmund und Chef der Belgrader Philharmoniker.

Epiphanie auf einer Müllhalde

Beginnt Eberhard Feltz ein Gespräch, klärt er erst mal die Basis: „Sind Sie auch der Meinung, dass Musik unersetzlich ist?“ Und schon ist man mittendrin. Musik spielt eine Rolle beim Erfassen von Wirklichkeit, findet Feltz. Es sei darum einer der großen Fehler unserer Zeit, Kunst als etwas Separates zu denken, als etwas, um das herum die eigentliche Welt lagert. „Kunst ist Darstellung unserer Wirklichkeit.“ Durch das, was Kant die „Einbildungskraft“ nennt und bei Goethe „Anschauung“ heißt. Allein auf Wissenschaft, Technik, Ratio als Weg der Erkenntnis zu setzen und alles andere als subjektiv zu vernachlässigen, das sei der Fehler. Mit 15 Jahren, erzählt Feltz, hat er auf einer Müllhalde eine Goethe-Volksausgabe gefunden und darin einen Satz, der sein Leben veränderte: „Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht als Anschauen“ (aus den „Maximen und Reflexionen“).

Als er auf die lebensverändernde Müllhalde traf, war Eberhard Feltz ein Heimatloser. Er ist 1937 in Königsberg geboren, seine Familie wurde nach Kriegsende vertrieben. „Wir waren Fremdlinge, so wie die Flüchtlinge heute“, erzählt er. Gerettet hat ihn die Geige. Er studierte in Berlin, dann in St. Petersburg, damals Leningrad. Er traf auf die ganz Großen: Igor Strawinsky, David Oistrach, Swjatoslaw Richter. Und lernte doch, als er seine Professur an der „Hanns Eisler“ antrat, eine grundlegende Lektion: „Ich musste wieder Anfänger werden“. Um der Musik überhaupt spontan begegnen und sie auch weitergeben zu können. Bis heute interessieren ihn nicht die Musiker, die mit 20 „fertig“ sind. Sondern die, die mit 30, mit 40, mit 50 wieder ganz neu anfangen.

Das Schlimmste ist für ihn, wenn jemand nichts fragt

Damit direkt zusammen hängt sein Credo als Lehrer. „Ist nicht für den Studenten die Begeisterung, die Liebe des Pädagogen, der Mensch, der mir gegenübersitzt, wichtiger als da Was des Unterrichts. Wie lebt er, wie sehr ist er dabei?“ Ist er ein Schwamm, der alles aufsaugt, und zugleich Dynamit, das explodieren will? Eberhard Feltz will seinen Schülern helfen, ihre eigenen Fragen zu finden. Denn das Schlimmste ist für ihn, wenn jemand nichts fragt. Er will nicht der Zahnarzt sein, bei dem man nur den Mund aufsperrt. Einige seiner Überlegungen und Reflexionen, sein Denken von den Rändern her, hat er jetzt in dem Buch „Genauer als Worte. Intuitives Finden – 44 Übungen“ zusammengefasst. Es wird im August auf dem Davos Festival vorgestellt, wo Eberhard Feltz Meisterkurse gibt.

Als Guru des Streichquartetts hat man ihn betitelt. Ein bescheidener Mensch wie er fühlt sich bei so großen Worten unwohl. „Das hat mich betroffen gemacht. Ich musste dem irgendwie begegnen.“ Aber in der Tat denkt er, dass jeder gute Musiker zunächst mal Kammermusiker sein muss. Um das Aufeinanderhören überhaupt erst zu lernen. So könnte man stundenlang weiter mit ihm diskutieren, auch über Politisches wie die Frage, was mit einer Gesellschaft geschieht, die scheinbar den alten Menschheitstraum von immer weniger Arbeit und immer mehr Freizeit verwirklicht: „Freigelassene Menschen sind ja noch nicht frei“, ein typischer Eberhard-Feltz-Satz. Oder über die Zukunft von Musik. György Ligeti, erzählt er, habe mal gesagt, wenn man eine Straße in Budapest nach ihm benennen wolle, müsse es eine Sackgasse sein. Denn den richtigen Weg zu einer universellen Musik, die für alle gleichermaßen wichtig ist, zu einer Musik von „intersubjektiver Betreffbarkeit“, habe er nicht gefunden.

Ein weiterer ungarischer Freund ist György Kurtág, zu dessen 90. Geburtstag Feltz eine Festveranstaltung organisiert hat. Seit 23 Jahren kennen sich die beiden, Feltz schätzt an ihm sein „menschliches, gestisches, wurzelnahes“ Komponieren. Apropos Goethe und sein Wort von der Anschauung: Am liebsten, sagt Eberhard Feltz, würde er ja von der „Anhörung der Welt“ sprechen. Wenn das nicht so schrecklich nach Gerichtsverhandlung klänge. Und schon lächeln seine Augen wieder.

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