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Echo-Gala: Danken üben

Sehr lange drei Stunden wurde „laudatiert“ (so die Schauspielerin Anna Loos), gelobt und gedankt. Rainer Moritz erleidet die Echo-Preisverleihung.

Früher, als die Welt noch in Ordnung war, drang meine Mutter, kaum hatte das neue Jahr begonnen, darauf, mich artig für die per Post übersandten Weihnachtsgeschenke zu bedanken. Einen schönen Brief in wohlgesetzten Worten musste ich an Oma schreiben und so meine Freude über das Karl-MayBildband-Präsent zum Ausdruck bringen. Dass sich die Kultur des Dankes nicht zum Besten verändert hat, zeigte sich am Sonnabend in der Berliner O2- World, als sich die gebeutelte Musikindustrie selbst auf die Schultern klopfte und den diesjährigen Deutschen Musikpreis gleich in 27 Kategorien verlieh. Sehr lange drei Stunden wurde „laudatiert“ (so die Schauspielerin Anna Loos), gelobt und gedankt – fast immer in einem Gestammel, das eindrucksvoll belegte, dass Sängern oft keine rhetorischen Talente mit auf den Lebensweg gegeben wurden.

Ob Thomas Godoj, Anna R. (von Rosenstolz), Paul Potts, ob die zum zwölften Mal mit einem Echo ausgezeichneten Kastelruther Spatzen, Stefanie Heinzmann oder Helene Fischer – in stereotyper Einfallslosigkeit reihten die Geehrten Belege dafür aneinander, dass der Unsagbarkeitstopos - „Mir fehlen die Worte“ – heute aktueller denn je ist. „Geil“, „fantastisch“, „wow“, „sensationell“, „ein Hammer“, „Oh, mein Gott“ – mehr wussten die Ausgezeichneten selten zu entgegnen, in der „Wahnsinnslocation“, wo sich vor „Super-Fans“ alles „gut anfühlte“.

Dass die Ausnahmen – der Dreifachsieger Peter Fox, der Jazz-Trompeter Till Brönner oder der erneut mit einem Preis gewürdigte Udo Lindenberg – die Regel bestätigten, lag daran, dass die eingeflogenen Laudatoren als Qualifikationsnachweis lediglich Prominenz vorzuweisen hatten. Wie auch im öffentlichrechtlichen Fernsehen bei Galas längst üblich, empfinden die Verantwortlichen das Formulieren von mehr als drei zusammenhängenden Sätzen als Zumutung für den Zuschauer. So dilettierten Kommissarin Simone Thomalla, Ministerpräsident Christian Wulff, der redselige Wladimir Klitschko, die unsägliche Jeanette Biedermann, der „wahnsinnig“ aufgeregte Bushido oder die ihre attraktiven Oberarme präsentierende Olympiasiegerin Britta Steffen vor sich hin, während die in geschätzten 27 Kleidern (darunter ein „lebensbejahendes Dirndl“) auftretende Moderatorin Barbara Schöneberger mit Depeche Mode eine Art Interview führte, das in dem Satz „Do you love to come to Germany?“ gipfelte. Übertroffen wurde das Elend nur von Laudator Bruce Darnell, dem es gelang, zwei Minuten sinnfrei zu radebrechen, ehe er der bemitleidenswerten Helene Fischer die Schuhe küsste. Dass es bei der Echo-Verleihung nicht zuerst um Qualität geht und die Bezeichnung „Bester Künstler“ vor allem Verkaufszahlen spiegelt, wussten alle und taten doch so, als wäre es anders. Die Zuschauerzahlen fielen auf drei Millionen, fast 1,5 Millionen weniger als 2008.

Und sonst? Vor allem die wunderbare Ruhe, sobald das Gerede und Getue verstummte und in „live acts“ ganz altmodisch Musik gemacht wurde. Herrlich die Augenblicke der Einkehr, wenn Campino und Birgit Minichmayr, Amy MacDonald oder Kate Perry schlichtweg das taten, was sie können: drei Minuten lang singen. Kein Wort des Dankes, keines des Lobes und Sich-selbst-Feierns – damit wäre auch Oma zufrieden gewesen.

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