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Manfred Eicher, Gründer des Jazzlabels ECM.

© Marek Vogel

ECM: Der Klangbildner

Mit seinem ECM-Label schuf Manfred Eicher ein Gesamtkunstwerk. Zum 70. Geburtstag des Jazzproduzenten

Wie der Wind plötzlich anschwellend über das Wasser streicht und der Bodensee zu rauschen beginnt, ein Meer wird – diese akustische Verwandlung hat Manfred Eicher immer fasziniert, in all ihren feinsten Abstufungen. Aufgewachsen in Lindau, in einem Haus, das immer von Schubertklängen erfüllt ist, lernt er früh Geige. In Berlin studiert er dann Kontrabass und wechselt oft die Straßenseite, um in die Filmbühne am Steinplatz zu gelangen. Die nouvelle vague wird sein cineastisches Zuhause und Godard später sein Freund. Eicher spielt kurz bei den Berliner Philharmonikern, betreut Aufnahmen für die Deutsche Grammophon und findet seinen Platz auf der anderen Seite der Mikrofone. Klassisch ausgebildet, geht es ihm bei vielen Einspielungen improvisierter Musik zu schlampig zu. Und er gründet sein eigenes Label, das heute, nach gut 1200 Aufnahmen, als das einflussreichste unabhängige Jazzlabel gilt: ECM steht für Edition of Contemporary Music, getragen von Eichers Bewunderung für die Musik von Stockhausen und Co sowie der Sorgfalt, mit der Kleinverlage und Galerien zu Werke gehen. „Free at last“ heißt die erste Platte, 1969.

Legende ist Eichers Konzertmitschnitt, auf dem Keith Jarrett 1975 zum Entsetzen des Produzenten zwei Stunden lang über einen mangelhaften Flügel fegt. „The Köln Concert“ verkauft sich mehr als drei Millionen Mal. „Ich gelte als anstrengender Chef“, räumt Jarrett ein, „Manfred ist viel schlimmer.“ Was für ein Dickkopf. Und was für Ohren! Stets lauschen sie der Stille neue Facetten ab. Auf einer nächtlichen Autofahrt hört Eicher die Uraufführung von Arvo Pärts „Tabula Rasa“ im Radio. Ein neues ECM-Kapitel beginnt. Pärt wird 1984 die erste Veröffentlichung der „New Series“, in der künftig komponierte Musik erscheint. Der Este, der lange als Tonmeister gearbeitet hat, und Eicher sind zwei stille Asketen, die sich zuhörend verstehen. Im Dokumentarfilm „Sounds and Silence“ von 2010 wagen sie nach endlosen Proben gar ein Tänzchen, in der Euphorie am Rande der Erschöpfung. Unaufhörlich von einer Aufnahmesitzung zur nächsten reisend, kontrolliert Eicher seine Produkte akribisch: Den melancholischen Cover-Gestaltungen widmete sich unlängst eine Schau im Münchner Haus der Kunst. Es hagelt Preise: 2008, 2009, 2010, 2012 und 2013 wurde Eicher in Kritikerumfragen des Jazz-Magazins Down Beat als „Produzent des Jahres“ gewürdigt. Den „Echo“ lehnte er 2011 ab. Von der Schallplattenindustrie will sich der Klangbildner auch zu seinem heutigen 70. nicht feiern lassen. Ulrich Amling

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