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Kultur: Eden für jeden

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker zelebrieren Schumanns „Das Paradies und die Peri“

Rätselhafte Romantik! Wie unglaublich fern ist uns heute die Welt von Robert Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“: Die Tochter eines gefallenen Engels und einer Menschenfrau versucht sich von der Erbschuld ihrer unreinen Geburt reinzuwaschen, indem sie den Wächtern der Himmelspforte zuerst den letzten Blutstropfen eines indischen Kriegshelden, dann den finalen Seufzer einer ägyptischen Liebenden und schließlich die Träne eines reuigen syrischen Sünders überbringt.

Der auf Thomas Moores „Lalla Rookh“-Dichtung basierende Text ist ein poetisches Machwerk, in dem sich Naivität, Halbbildung, Exotismus, Märchenmurks und Frömmlertum zu einer wüsten Melange vereinen. Aber auch die Musik, die Schumann 1843, in einem seiner wenigen glücklichen Lebensjahre, komponierte, schillert in buntester stilistischer Vielgestaltigkeit, weckt Assoziationen von „Ännchen von Tharau“ bis „Lohengrin“. Volkslied steht neben Arie, opernhafter Schlachtenlärm neben Chorfugen, da gibt es Harfenklang und Streichersamt, alles sehr lyrisch, melancholisch auch, wie wolkenverhangener Mendelssohn, schwer und süßlich parfümiert.

Dieses Werk kann man nur lieben oder hassen. Viele bedeutende Maestri haben sich in jüngerer Zeit für die Zuneigung entschieden: Marek Janowski hat es Ende 2002 in Berlin mit dem RSB erarbeitet, Ingo Metzmacher im Januar 2008 mit dem DSO, von Nikolaus Harnoncourt gibt es eine frische CD-Einspielung.

Nun also liegt „Das Paradies und die Peri“ auf den Pulten der Berliner Philharmoniker. Im Rahmen des Saison-Schwerpunkts, der Schumann mit Bernd Alois Zimmermann konfrontiert, wirbt Simon Rattle beim Publikum wie bei seinem Orchester um wohlwollende Aufmerksamkeit. So professionell sie auch mitziehen, mit dem Herzen scheinen die Musiker am Donnerstag nicht bei der Sache zu sein. Erst im Jubelschluss wird so etwas wie kollektive klangliche Euphorie spürbar – mag sie nun von Erleichterung künden oder doch von finaler Begeisterung.

Während das exquisite Solistenquartett Kate Royal, Bernarda Fink, Andrew Staples und Christian Gerhaher in kunstvoller Künstlichkeit Distanz zum Stück wahrt und auch Topi Lehtipuu mit feinem Mozarttenor als auktorialer Erzähler wie von außen auf die Geschichte blickt, stürzt sich die kurzfristig eingesprungene Annette Dasch geradezu in die Partie der Peri, bangt und bebt, lebt, liebt und leidet mit der Fee, ja scheint sich in ihrer hinreißenden, optischen wie vokalen Natürlichkeit ganz und gar in ein sommernächtliches Zauberwesen zu verwandeln. Die Träne quillt, der Himmel hat sie wieder. Frederik Hanssen

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