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Fluch und Segen des Öls. Der Künstler Ahmed Matter, im Hauptberuf Arzt, und seine "Röntgenbilder".

© Edge of Arabia

Soho House: Edge of Arabia zeigt Kunst aus Saudi-Arabien

Augen ohne Gesicht: In Berlin ist erstmals zeitgenössische Kunst aus Saudi-Arabien zu sehen. Die Künstlerinitiative "Edge of Arabia" ist auch politisch gemeint.

Vor sechs Jahren rumpelte der britische Künstler Steven Stapleton in einem alten Bus über die arabische Halbinsel und machte eine erstaunliche Entdeckung. Auch in Saudi-Arabien, dem konservativsten Land der Welt, gibt es Menschen, die ihre ganz eigene Art von Kunst entwickeln – sensationelle, zum Teil noch nie gesehene Kunst von Leuten, die tagsüber ganz normalen Berufen nachgehen. Stapleton reiste von Dorf zu Dorf, er gewann die Unterstützung des Gouverneurs von Dschedda. Und so entstand „Edge of Arabia“, eine Künstlergruppe, zu der inzwischen sogar eine Prinzessin des Königshauses gehört. In Berlin sind dank der Initiative von „Edge of Arabia“ jetzt erstmals zeitgenössische Bilder aus Saudi-Arabien zu sehen. Die Ausstellung läuft unter dem Titel „Grey Borders / Grey Frontiers“ im Soho House in Mitte.

Prinzessin Jowhara al Saud, eine elegante Mittdreißigerin, zeichnet großformatig Menschen, die sie aus Fotos ihrer Freunde und Familie abmalt, Figuren im Pop- oder auch Comic-Stil, aber diesen Figuren fehlt eines: ein Gesicht. „Wir wissen in Saudi-Arabien nicht, wie wir mit Fotos umgehen sollen. Wir haben natürlich alle Fotografien zu Hause. Aber in der Öffentlichkeit zeigen wir unser Gesicht nicht. Wir sind gesichtslos“, erklärt die Prinzessin.

Noch aufschlussreicher ist aber das, was sie nicht sagt. Wie ist das eigentlich, heutzutage ein Prinzessin in Saudi-Arabien zu sein? Eines von 6000 Mitgliedern des Königshauses, in das die gesamten Einnahmen aus dem Ölgeschäft als Privatbesitz fließen – unvorstellbar viele Milliarden Dollar –, während das Volk großenteils im Elend lebt und hungert und sich umso mehr den radikalen Wahhabiten anschließt? Da schweigt die schöne, freundlich-kühle, ein bisschen arrogante Adelige. Sie mag nur über ihre Kunst reden, nicht über so „irrelevante“ Dinge wie ihr Leben. Und fotografieren lässt sie sich natürlich auch nicht. Es ist auch nicht üblich, einer saudischen Prinzessin die Hand zu reichen.

Saudi-Arabien macht es seinen Einwohnern wirklich nicht leicht. Zwischen dem Persischen Golf und dem Roten Meer kann eine Kritik an König Abdullah leicht zu Folter, Gefängnis oder auch zu einem Todesurteil führen. Der Herrscher regiert absolut, er steht über dem Gesetz. Von den 19 Attentätern des 11. September stammten 15 aus Saudi-Arabien.

Der Westen scheint sich daran nicht zu stören. Schließlich liegt ein Viertel der bekannten Welterdölvorkommen unter dem Wüstensand – alles Privateigentum der Herrscherfamilie. Kritik hört man an diesem Freund und Verbündeten, anders als an Afghanistan oder Iran, fast nie.

Dabei ist das Land zutiefst reaktionär und von einem verstörenden Puritanismus. In der Hauptstadt Riad mit ihren vier Millionen Einwohnern gibt es nicht ein einziges Kino. Solche kulturellen Ausschweifungen sind nach dem Willen des Herrscherhauses streng verboten. Problemlos darf der Besucher dafür öffentlichen Hinrichtungen beiwohnen – oder auch nur Züchtigungen mit der Peitsche nach Scharia-Art.

„Es gibt in Saudi-Arabien praktisch keine Galerien, keine Museen, auch keine Kunstbücher“, sagt der wohl bekannteste saudische Künstler, Abdelnasser Gharem. „Ich habe mir gesagt: Na ja, die brauche ich auch nicht. Ich zeige meine Kunst da, wo ich Menschen finde, auf der Straße. Ich bin der Erste, der Performances in Saudi-Arabien macht. Performances sind mächtig. Das, was Mahatma Ghandi gemacht hat, war ja auch eine Performance, egal ob er es so gemeint hat oder nicht. Meine Rolle als Künstler: Ich kann ein Funken sein.“

Gharems Kunst ist offen sozial engagiert. Ein Novum, das bis hin zum König Aufsehen erregt hat. Er hat für den Erhalt von Dörfern gekämpft, die die Regierung zum Abriss zwingen wollte, indem er T-Shirts mit der Aufschrift „abrissbereit“ verteilte und selbst anzog, um zu zeigen, dass hier nicht nur Häuser beseitigt werden sollten, sondern auch Menschen.

Abdelnasser Gharem, das ist durchaus typisch für Saudi-Arabien, ist übrigens kein Vollzeit-Künstler, sondern im normalen Leben: Soldat. Jeden Tag exerziert er mit seiner Einheit, im letzten Winter hat er an der Front zum Jemen gekämpft, wo Saudi-Arabien seit langem seine Grenzstreitigkeiten austrägt. Künstler ist er nur in seiner Freizeit, aber darüber beklagt er sich nicht. Den öden Kommerz des Kunstmarktes kann er sich gar nicht vorstellen. Allerdings wird auch „Edge of Arabia“ von einer großen saudischen Industrie-Holding gesponsert und ist international gut vernetzt.

Auch den dreißigjährigen Ahmed Matter stört sein Beruf nicht, im Gegenteil, er lässt sich davon inspirieren. Er arbeitet als Arzt in einem Krankenhaus. Und er hantiert mit ungewöhnlichen Materialien: mit Röntgenstrahlen und Magnetismus. Da ist zum Beispiel dieses ganz banale Bild einer Zapfsäule, wie sie auf Autobahnhinweisschildern stehen. Die Tanksäule, aus der ein Zapfhahn hängt, verschmilzt in einer raschen Folge von Bildern mit dem Torso und Kopf eines Menschen: blau eingefärbten Röntgenbildern. Schließlich wird der Zapfhahn zur Pistole, die sich die geisterhafte menschliche Figur an den Kopf hält. Ein Menetekel und wohl auch Kritik an der saudischen Regierung, die rücksichtslos auf Ölexporte setzt. „In unserer Region hängt alles vom Öl ab“, sagt Dr. Matter mit leiser Stimme. „Aber wo sind eigentlich die Menschen? Es scheint, als habe nicht der Mensch die Region geprägt, sondern das Öl. Doch das Öl kann ein Fluch sein. Wir müssen die Region für die Menschen gestalten.“

Ahmed Matter hat eines der wunderbarsten Kunstwerke der arabischen Welt geschaffen. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Bild von der Kaaba in Mekka, um die sich in konzentrischen Kreisen Pilger bewegen. Aber dann wird deutlich: Dies ist nicht die Kaaba, sondern ein Magnet in Großaufnahme, und nicht wandernde Pilger sind zu sehen, sondern Eisenspäne, die sich ebenso rund um den Magneten scharen.

„Ich habe als Kind viel mit Magneten gespielt, so wie wir alle“, erklärt der Künstler: „Dann kam ich auf die Idee der Hadj, der Pilgerreise. Wenn man Pilger fragt, die aus Mekka zurückkommen: Wie war es denn, vor der Kaaba zu stehen, dann sagen sie oft: Es war wie ein elektrischer Strom, ein Magnetismus, der einen anzieht und magisch um die Kaaba treibt.“

Saudische Kunst ist bunt gemischt, Installationen, Fotos, Zeichnungen, eine kluge Installation mit leuchtenden Buchstaben, aus denen man je nach Aufleuchten der Lettern sehen kann, wie oft das Wort „Mann“ offen oder versteckt in einem Text vorkommt.

Dass die Künstlerinitiative „Edge of Arabia“ auch politisch gemeint ist, daran lässt der Kurator Rami Farook, ein junger Mann, der in Dubai lebt, keinen Zweifel. „Wir wollen die Identitätskrise zeigen, die die islamische Welt erfasst hat. Ich habe Angst, dass der extreme Islamismus die Vorherrschaft gewinnt, aber ich spreche für den gemäßigten Teil des saudischen Volkes und für die Kunst, die genau diesen gemäßigten Islam will.“ Dass das manchmal ein wenig plakativ daherkommt, kann man verzeihen. Diese Kunst aber ist alles andere als naiv. Sie hat in einer erzreaktionären Gesellschaft Sprengkraft, in der vor fünfzig Jahren erst die Sklaverei abgeschafft wurde.

Saudi-Arabien ist in Bewegung gekommen, auch wenn es offiziell noch erstarrt scheint. Junge Leute lassen sich nicht mehr alles bieten, Zehntausende haben in England oder Amerika studiert, die Eliten haben längst ein liberales Leben kennengelernt. Oder sie sind im Land geblieben und haben in der Kunst eine kleine Revolution vorbereitet. Ein kleines Kunstwunder ist erblüht. Ein Glücksfall, dass es jetzt in Berlin zur Biennale zu besichtigen ist.

„Grey Borders/Grey Frontiers“, Soho House, Torstraße 1, Berlin-Mitte, dienstags bis sonntags 10–18 Uhr, bis 18. Juli. Info: www.edgeofarabia.com

Werner Bloch

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