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Kultur: Edler Stillstand

"Aber nun ist es die ganze Welt, die Natur als Ganzes, welche sozusagen aus unergründlichem Schweigen zum Tönen und Klingen erweckt ist." Mit diesen Worten hatte Gustav Mahler seine dritte Sinfonie beschrieben und keinen Zweifel daran gelassen, durch welche Kraft ihm diese Weltsicht möglich war: durch "die Betonung meines persönlichen Empfindungslebens".

"Aber nun ist es die ganze Welt, die Natur als Ganzes, welche sozusagen aus unergründlichem Schweigen zum Tönen und Klingen erweckt ist." Mit diesen Worten hatte Gustav Mahler seine dritte Sinfonie beschrieben und keinen Zweifel daran gelassen, durch welche Kraft ihm diese Weltsicht möglich war: durch "die Betonung meines persönlichen Empfindungslebens". So komponierte er keine imposanten Felsschluchten, keine peitschenden Winde, nur weil dies klangmalerisch überwältigend gewirkt hätte - er erforschte den Zustand der Seele im Angesicht einer verstörenden Welt, in der Schönheit und Tod unauflösbar verwoben sind: ein Vorwärtstaumeln auf der Suche nach Erlösung. Giuseppe Sinopoli, den venezianischen Doktor der Medizin und Chefdirigenten der Staatskapelle Dresden, drängt es dagegen nicht nach transzendenter Gewißheit. Planvoll bringt er den gewaltigen Eröffnungssatz um dramatisch drängende Energie: Mit minimalistischem Fingerzeig ordnet der Maestro stürzende Klangfluten, vertreibt durch erzwungene Langsamkeit die dumpf-gewittrige Stimmung und animiert das Orchester bei pathetischen Klangballungen zu hastigem Vorspulen. Das hat System und klingt nicht schlecht, zumal sich die Staatskapelle Berlin in konzentrierter Verfassung präsentiert, die Streicher druckvolle Präsenz und die Blechbläser sicheren Atem beweisen.Doch wofür dieses Klingen ohne Leidenschaft? Dottore Sinopoli liebt es sophisticated - und verpaßt Mahler in den 40 Minuten des ersten Satzes, weil er anstelle von elementarem Ringen auf gehobener Konversation besteht. So entzieht er der von Schopenhauers Philosophie inspirierten Aufstiegsidee - von unbelebter Materie bis hin zur ewigen Liebe - das bedrohlich schwankende Fundament. Und das verzeiht die fragile Statik des Riesenwerks nicht. Kühl und fern erklingt darauf "Zarathustras Mitternachtslied", das doch von tiefer Welt, tiefem Weh und tiefer Lust singt. Im Anschluß verwischen die ironischen Brechungen im 5. Satz mit seiner kindlichen Vision des himmlischen Lebens. Der hymnisch emporkletternde Schlußsatz, ein Schreiten in Zuversicht, sinkt unter Sinopolis Händen zum Soundtrack von "Tod in Venedig" herab. Ein Mahler mit angezogener Handbremse - und zuviel Stillstand.

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