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Chat zwischen Whistleblower Edward Snowden und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras.

©  hoehnepresse/AFP

Edward-Snowden-Doku "Citizenfour": Freiheit war gestern

Jung, klug, mutig, sensibel: „Citizenfour“ ist Laura Poitras’ Dokumentarfilm über den Whistleblower Edward Snowden. Er zeigt die schockierendste Enthüllung des jungen Jahrhunderts - und hätte den Oscar verdient.

Einen Oscar für den besten Dokumentar-Kurzfilm des Jahres gab es für das 12 Minuten und 34 Sekunden kurze Werk nicht, ja, es war nicht einmal nominiert. Auch ist seine Darreichungsform und Verbreitung – auf Youtube hat es Millionen Zuschauer erreicht – eher ungewöhnlich. Und erst die Form: eine kurze Totale auf den Hafen von Hongkong, anschließend ein einziges talking head. Und Abspann.

Andererseits haben, und das ist mehr wert als jeder Oscar, die Regisseurin Laura Poitras und der Journalist Glenn Greenwald im Juni letzten Jahres mit diesem titellosen Video das einstweilen wichtigste filmische Dokument des nicht mehr ganz jungen Jahrhunderts vorgelegt. Binnen einer knappen Viertelstunde hat der Whistleblower Edward Snowden darin den Blick der Welt auf sich selbst verändert. Eine kollektive Ahnung wurde – nicht zuletzt durch die lauen Reaktionen der westlichen Geheimdienste und Regierungen – zur Gewissheit: Wir leben in einem globalen Überwachungsstaat.

Die größte Angst des Edward Snowden

In zahlreichen Zündstufen prägte diese nachrichtliche Bombe den Sommer und Herbst 2013. Edward Snowden aber prognostizierte bereits im Video mit der ihm eigenen Luzidität und Nüchternheit: „Meine größte Furcht ist, dass sich nichts ändert. Die Leute werden die Enthüllungen in den Medien sehen, aber sie werden nicht die notwendigen Risiken eingehen wollen und aufstehen und kämpfen, um die Dinge zu ändern.“ Und: Bald würden die Staatenlenker neue Krisen und Weltbedrohungen anführen, um noch mehr Macht zu fordern. „Aber dann werden die Völker nichts tun können, um sich dagegenzustellen. Und die Tyrannei ist schlüsselfertig.“

Schneller als erwartet scheint die Menschheit an diesem Punkt angekommen; und exakt diese neue Ohnmachtserfahrung stellt sich auch bei der Besichtigung von „Citizenfour“ ein. Die Enthüllung ist kaum ein Jahr her, und doch erscheint deren in Laura Poitras’ neuer Dokumentation packend dargestellte Vorbereitungsphase wie Lichtjahre entfernt. Zugleich reißt „Citizenfour“ sein Publikum faszinierend zurück in jenen von aberwitzig wenigen mutigen Menschen herbeigeführten Augenblick, der den Selbstbegriff der Internet-Generationen in ein Davor und Danach teilte.

„I’m not the story here“, sagt Snowden schon in den ersten Gesprächen im zehnten Stockwerk des Hotels Mira in Hongkong, nachdem er den Kontakt zu Poitras über Monate in verschlüsselten Mails angebahnt hatte. Exakt benennt er, dass Medien heute abstrakte Zusammenhänge wirkungsvoll nurmehr über Personen erschließen; und ebenso klar ist ihm, dass er auch deshalb eines nahen Tages sein Gesicht dafür hinhalten muss. Was in dem Verratszusammenhang gegenüber seinem Staat USA heißt: seine Freiheit opfern, wenn nicht sein Leben.

Laura Poitras nie im Bild

Insofern lässt sich „Citizenfour“, der vor wenigen Tagen beim New York Filmfestival eine demonstrativ umjubelte Premiere feierte, durchaus als Home Story zu jenem klug und sensibel wirkenden 29-Jährigen lesen, der bislang in der Öffentlichkeit nur durch sein Video-Gesicht identifizierbar war. Wobei das Zuhause über weite Strecken auf das Hotelzimmer beschränkt bleibt, in dem sich Snowden, sein Interviewer Greenwald und die nie im Bild sichtbare Poitras (und zeitweise ein vom „Guardian“ entsandter Reporter) zusammenfinden.

Manchmal, in stillen Augenblicken, tritt Snowden an das Panoramafenster und blickt hinaus auf den von Hochhäusern umgebenen Kowloon Park; schon hier wirkt er wie ein Gefangener, der wissentlich alle künftige Bewegungsfreiheit einer größeren Sache opfert. Besonders spürbar wird dies, als er Mails mit seiner Freundin in Hawaii wechselt, die ihm von Verhören durch die „NSA-Polizei“ berichtet; um sie nicht durch Mitwissen zu gefährden, hatte er sich von ihr nur mit einem Zettel – wie vor einer plötzlichen Dienstreise – verabschiedet. Ein zartes und zugleich von gemeinsam gewählter Einsamkeit kündendes Bild zeigt das wiedervereinte Paar beim Kochen: eine Nachtaufnahme durch ein Fenster, offenbar ein Blockhaus, irgendwo in Russland. Wahrscheinlich.

Foto von Edward Snowden
Moderner Held. Edward Snowden, gesehen von Dokumentarfilmerin Laura Poitras.

© hoehnepress / AFP

Edward Snowdens stille Nervosität

Aufregend konkret aber ist vor allem die klaustrophobische Szenerie in Hongkong. Zeugt es von Paranoia, wenn Snowden den Stecker des Zimmertelefons zieht, bevor man spricht? Keineswegs, da sich mit dem eingebauten Mikro moderner Telefone auch bei aufgelegtem Hörer Zimmergespräche bestens verfolgen lassen. Ist es albern, dass Snowden beim Eingeben von Passwörtern Kopf, Oberkörper und Tastatur mit dickem rotem Stoff überdeckt? Nur wenn eine Kameraüberwachung des Raums mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Auch die Sirene einer Hotel-Feuerwehrübung entwickelt unter den gegebenen Umständen einigen Thrill.

„Das ist nicht Science-Fiction, das ist Realität“, sagt Snowden einmal. Auch „Citizenfour“ ist kein Spionagethriller etwa nach John le Carré, sondern zeigt die reale Vorbereitung des größten Scoops – ach was, der Begriff ist viel zu klein – aus neuerer Zeit. Und unterschlägt auch nicht, ohne musikalisches Tremolo und sehr bewegend, wie sich das Gesicht des selbstbewussten, gefassten jungen Mannes, nachdem sein Interview um die Welt gegangen ist, mit einer stillen Nervosität überzieht, als er sich, mit Kontaktlinsen und gegeltem Haar, der Untauglichkeit jeder Tarnung bewusst wird. Genau das ist eingetreten, worauf er sich vorbereitet hat. Und das Gefühl ist, befeuert durch Tatsächlichkeit, dann doch anders.

Geheimdienste kennen keinen Spaß

Was der Film ebenfalls nicht zeigt: Interviews mit Snowdens Eltern, Arbeitskollegen, all das, was eine „runde“ Doku ausmachen mag. Andere Lücken auch, die „Citizenfour“ bereits vorgeworfen werden, sind darauf zurückzuführen, dass Poitras, als Snowden in Moskau Asyl fand, selber abtauchen musste, Geheimdienste kennen bekanntlich keinen Spaß. Anderweitig geschlossen werden die Lücken durch öffentliche Statements etwa von William Binney, einem verantwortlichen NSA-Mann, der früher schon die Seiten wechselte, oder auch durch den Internet-Aktivisten Jacob Appelbaum. „Freiheit heute heißt Privatsphäre“, sagt er, „was also heißt es, wenn die Privatsphäre tot ist“ – zerstört dadurch, dass die Geheimdienste aus den Metadaten jedes Menschen jederzeit detaillierte Persönlichkeitsprofile herstellen können?

Vor drei Wochen bekam Edward Snowden den „Alternativen Nobelpreis“ verliehen. Der Friedensnobelpreis, der besser Freiheits- oder Menschenrechtspreis hieße, ist bereits seit dem letzten Jahr überfällig. Vielleicht springt einstweilen für Laura Poitras’ „Citizenfour“ ein Oscar raus. Eine Nominierung – für die Irak-Doku „My Country, My Country“ (2006) – hatte sie schon.

„Citizenfour“ läuft ab 6. November im Kino. Premiere mit Laura Poitras am 5. November, 20 Uhr, im International

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