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Kultur: Egoissimo

Frederik Hanssen sorgt sich um das Liebesleben der Stardirigenten Vom Dirigenten Hans Knappertsbusch, der Orchesterproben hasste, wird erzählt, dass er eines Tages die Musiker mit den Worten begrüßte: „Sie kennen das Werk, ich kenne das Werk. Auf Wiedersehen bis heute Abend.

Frederik Hanssen sorgt sich um

das Liebesleben der Stardirigenten

Vom Dirigenten Hans Knappertsbusch, der Orchesterproben hasste, wird erzählt, dass er eines Tages die Musiker mit den Worten begrüßte: „Sie kennen das Werk, ich kenne das Werk. Auf Wiedersehen bis heute Abend.“ Ein echter Maestro, möchte man nach dieser Anekdote meinen, muss zuallererst an sich denken. Sonst stünde er nicht da oben, als Alleinherrscher, der mit einem Handgelenkszucken instrumentale Stürme entfesseln kann. Für seine künstlerischen Visionen geht der Dirigent über Leichen.

So wie jetzt Kent Nagano: Als er im Januar erklärte, den Vertrag mit dem DSO, dem Deutschen Symphonie-Orchester, nicht über den Sommer 2006 hinaus verlängern zu wollen, rühmte man seine Umsicht, sich nicht terminlich zu übernehmen wie viele seiner Kollegen. In zwei Jahren wird er Generalmusikdirektor des Münchner Nationaltheaters – eine Aufgabe, die viel Zeit und Kraft kostet.

Nun aber hat sich Nagano beim Orchestre Symphonique de Montréal als Chefdirigent verpflichtet, ab Herbst 2006. Das lässt seinen Abgang beim DSO in neuem Licht erscheinen: Macht er sich in Berlin aus dem Staub, weil der Stadt ein brutaler Umbau der Orchesterszene bevorsteht (so wie Rafael Frühbeck de Burgos, der 1994 desertierte, als es seinem Rundfunk-Sinfonieorchester an den Kragen gehen sollte)? Ist ihm das Schicksal des Ensembles so egal, dass er es aus karrieretaktischen Überlegungen dem freien Spiel der Sparkräfte Preis gibt? Mit Kent Nagano war das DSO fast unantastbar. Jetzt steht es genauso gefährdet da wie alle anderen.

Naganos Egotrip ist kein Einzelfall: So machen’s im internationalen Klassikbusiness fast alle. Daniel Barenboim beispielsweise steigt zum Herbst 2005 als Chef des Chicago Symphony Orchestra aus, weil er keine Lust mehr hat, die lästigen Pflichten der Sponsorenbetreuung zu erfüllen, die bei privat finanzierten US-Orchestern nun mal dazugehören. Das mag man okay finden: Da wollen Künstler lieber Kunst machen, als sich mit Kulturpolitik und Fundraising herumzuschlagen. Andererseits: Sollte zwischen einem Dirigenten und seinem Ensemble nicht eigentlich gelten, was auch für jede Ehe gilt: Dass man sich füreinander verantwortlich fühlt – in guten wie in schlechten Zeiten?

Gerade einmal 22 Auftritte mit seinem Orchester sähe sein Vertrag pro Saison vor, verriet jüngst der Chef des Berliner Sinfonie-Orchersters, Eliahu Inbal. Auch wenn es für Klassik-Romantiker verdammt hart ist: Musikalische Verbindungen sind längst nurmehr zweckorientierte Lebensabschnittspartnerschaften, Fernbeziehungen auf Teilzeitbasis. War schön mit dir. Und tschüss.

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