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Grand Dame. Lia van Leer hat nicht nur Israels Filmszene geprägt.

© Gabriele Heidecker

Ehrung: Nimmermüde Cineastin von Welt

Ein Leben für den Film: Am heutigen Sonntag wird Lia van Leer, die Grande Dame des israelischen Weltkinos, im Friedrichstadtpalast mit einer Berlinale-Kamera geehrt.

Wo sie auftritt, erzittert die Erde. Wer sie kennt, sagt das nicht mit Furcht, sondern voller Sympathie. Lia van Leer, die Pionierin und First Lady des israelischen Films, hat die Energie eines Tigers. Kein Wunder, hat sie doch in Israel so ziemlich alles gegründet und geleitet, was eine Filmnation braucht: drei Kinematheken, das Filmarchiv des Landes und das Jerusalem Film Festival. Das ist seit 1984 ein kultureller Treffpunkt für Juden und Araber, ein utopischer Ort, an dem Nahostkonflikte höchstens um die Sprache der Bilder ausgetragen werden. Den FestivalVorsitz hat sie bis heute inne.

Die Autorenfilmer aus aller Welt, Regisseure wie Werner Herzog oder Wim Wenders aus Deutschland, Lia van Leer kennt sie alle – und alle kennen sie. Die nimmermüde Cineastin ist auch eine großartige, großzügige Gastgeberin, die ihrerseits gern auf die internationalen Festivals reist. 1995 leitete sie die Berlinale-Jury, nahm 2003 als Patin am Talent Campus teil und kommt inzwischen jedes Jahr hierher, voller Hunger auf Filme, auf leidenschaftliche Auseinandersetzungen über die Bilder, auf das Festivalleben. Nightlife inklusive: Ihr Favorit ist die Teddy Award Party. Lia van Leer ist 86.

1924 als Tochter einer jüdischen Familie in Bessarabien geboren, überlebte sie den Holocaust, weil die Eltern sie 1940 zur Schwester nach Tel Aviv geschickt hatten. Vater und Mutter wurden von den Nazis ermordet. An der Hebrew University studierte Lia Humanwissenschaften, traf den Niederländer Wim van Leer, Ingenieur, Pilot, Freiheitskämpfer, Dramatiker, Filmproduzent. Eine Liebe für ein Leben, er starb vor 20 Jahren. Unter anderem hatte er Chris Markers „Déscription d’un combat“ produziert, der auf der Berlinale 1961 den Dokumentarfilm-Bären gewann.

Wie bringt man die Filmkunst nach Israel? Es fing ganz einfach an. Dank ihres 16-Millimeter-Projektors – eines Geschenks des Schwiegervaters – konnte das Paar schon in den 50ern die Freunde jeden Freitag zu privaten Filmabenden laden. Daraus ging der erste Filmclub des Landes hervor, später die Kinematheken von Haifa, von Tel Aviv und so fort. In die Kibbuzim brachte das Paar die Filme per Jeep. Eine clevere Frau: Den Produzenten, auch den Hollywood-Majors, schwatzte sie die hebräisch untertitelten Verleihkopien ab, die meist entsorgt werden, wenn ein Film im Kino ausgewertet ist. Mit der Zeit wuchs die Sammlung der van Leers auf über 26 000 Filme an: der Grundstock der Kinemathek in Jerusalem. Das Jerusalem Film Center, das auch das Archiv und die Festivalbüros beherbergt, ist bis heute das Herzstück ihrer Aktivitäten.

Als Berlinale-Chef Dieter Kosslick vor einigen Jahren zum Festival nach Jerusalem kam, saß er mit Lia van Leer in der ersten Reihe. Kaum dass sie auf der Bühne stand, zog sie ihn mit nach oben: Er möge das Filmfest bitte mit ihr eröffnen. Da stand er, der Deutsche, vor 8000 Israelis in der Open-Air-Arena des „Sultan’s Pool“ und war beschämt. Aber die Geschichte mit den Bücherkisten von Lia van Leer gefiel den Gästen dann doch.

Wenn Lia van Leer zur Berlinale kommt, bringt sie eine Kiste voller Bücher mit. Bücher von verbotenen und ermordeten Dichtern, Bücher, wie sie auf dem heutigen Bebelplatz verbrannt worden waren und die ihr Mann aus Holland vor den Nazis gerettet hatte. Die Bücher sind unansehnlich geworden, zerfleddert, versehrt. Kosslick lässt sie in Berlin restaurieren, jedes Jahr eine Kiste. So entsteht schon wieder eine kostbare Sammlung, eine kleine Bibliothek geretteter Bücher. Am heutigen Sonntag wird Lia van Leer, die Grande Dame des israelischen Weltkinos, um 11 Uhr im Friedrichstadtpalast mit einer Berlinale-Kamera geehrt. Anschließend lässt Taly Goldenbergs 65-minütige Dokumentation „Lia“ die Lebensstationen der Film-Enthusiastin Revue passieren. Christiane Peitz

Sonntag 11 Uhr (Friedrichstadtpalast). 14.2., 18 Uhr (Cubix 8)

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