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Kultur: Eifer des Gefechts

Tod durch „Friendly Fire“: ein amerikanisches Trauma

Als Hollywood sich 1996 erstmals mit dem Golfkrieg auseinander setzte, präsentierte es einen gebrochenen Helden. Denzel Washington spielte in „Mut zur Wahrheit“ einen US-Offizier, der im Eifer des Gefechts einen eigenen Panzer abgeschossen hatte. Das war durchaus realistisch, kamen im ersten Irak-Krieg 1991 doch mehr amerikanische Soldaten durch so genanntes friendly fire ums Leben als durch Waffen des Gegners.

Auch beim jetzigen Irak-Krieg häufen sich Meldungen über Verluste im eigenen Lager: Zusammenstoßende Hubschrauber, eine US-Rakete schießt einen britischen Kampfjet ab, ein US-Soldat läuft Amok und wirft eine Handgranate in das Zelt seiner Kameraden, und seit Freitag wird in der Nähe von Basra ein britischer Soldat vermisst, der womöglich ebenfalls durch einen irrtümlichen US-Luftangriff umkam. Dabei rühren die Toten durch friendly fire auf amerikanischer Seite an eine schmerzhafte Erfahrung, die in der kollektiven Fantasie der USA immer wieder auflebt: das Trauma des amerikanischen Bürgerkrieges.

Über den 11. September wurde oft gesagt, dass die USA erstmals einen Krieg auf heimischem Boden erfahren würden. Aber Nordamerika hatte von 1861 bis 1865 einen Krieg erlebt, der bis heute in der Erinnerung der Nation präsent ist und mit 600000 Toten die Zahl der US-Verluste im Ersten (115000) und Zweiten Weltkrieg (259000) sowie in Vietnam (55000) weit übertrifft. Auch war der Bürgerkrieg der erste moderne Medienkrieg. Wie Amerikaner sich gegenseitig abschlachteten, war überall schnell und ungeschönt zu erfahren. Und als 1865 ein Südstaatler in einem Washingtoner Theater Präsident Lincoln erschoss, hatte der Brudermord die höchste politische Ebene erreicht.

Wie sehr der Great Civil War in seiner autodestruktiven Dynamik bis heute von der amerikanischen Psyche Besitz ergreift, bezeugen zahllose Filme, die über die folgenden Kriege gedreht wurden. In Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ lassen Offiziere im Ersten Weltkrieg ihre eigenen Soldaten hinrichten, um die Kampfmoral zu heben. An der Pazifikfront des Zweiten Weltkrieges führt „Windtalkers“ von John Woo GIs vor, die ihre Navajo-Code-Talker töten müssen. Der Vietnamkrieg hat die Angst vor dem bewaffneten Bruder noch einmal zugespitzt. Francis Ford Coppola thematisierte mit „Apocalypse Now“ den Urkonflikt der amerikanischen Kriegsfilme: Ein US-Offizier soll von einem anderen liquidiert werden. In Oliver Stones „Platoon“ erschießt der Held einen sadistischen Vorgesetzten, ein paar Jahre später lässt wiederum Stone Tom Cruise zum Kriegsgegner werden, weil er einen GI getötet hatte. In „The Deer Hunter“ wurde der Bruder/Feind-Konflikt zur akuten Schizophrenie gesteigert: Ein G.I. findet in der Gefangenschaft Gefallen am Russischen Roulette und erschießt sich selbst.

Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Vietnam – der äußere Feind ist immer wieder Kulisse für ein Schauspiel, in welchem sich Amerikaner als tödliche Kontrahenten begegnen. Auf der imaginären Ebene scheinen die USA ihre militärischen Engagements zu nutzen, sich des Gründungsakts vor 150 Jahren zu versichern: Das Blut der eigenen Bürger musste fließen, damit etwas Großes entstehen konnte. Ein gespenstischer Wiederholungszwang.

Inzwischen macht die Kompliziertheit der Kriegstechnologie die Soldaten zu „menschlichen Versagern“, deren Fehlleistungen nicht mehr moralischer Natur sind. Dem absichtsvollen Brudermord folgt die versehentliche Tötung des Verbündeten; die individuelle Aggression wird zum Fehler im System. So besteht in dem Golfkriegsfilm „Mut zur Wahrheit“ der eigentliche Konflikt in einem Vorfall, für den eine gefallene Hubschrauber-Kommandantin nachträglich mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet werden soll. Denzel Washington untersucht den Fall. Er rekonstruiert, wie die vermeintliche Heldin Meg Ryan von einem ihrer eigenen Leute getötet wird. Das Pathos, mit dem die Tote geehrt wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hollywood das Thema nicht beerdigt, sondern von Film zu Film weiterreicht. Wie im wirklichen Kriegs-Leben.

Malte Oberschelp

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