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Kultur: Ein Akt der Hingabe

Endlich am Ziel: Das Werk des Fotografen Helmut Newton hat in Berlin sein eigenes Museum bekommen

Diese Körper sind eine Kampfansage. Wehrhaft stehen sie da, mit nichts bekleidet als Stöckelschuhen, ihre Waffen sind die nackte Haut, der entschlossene Gegenblick. Helmut Newtons „Big Nudes“ haben zu zahlreichen Interpretationen Anlass gegeben. Bis hin zur Vermutung, dass der Fotograf mit den überlebensgroßen Aktbildern eigentlich die Landung der Alliierten in Nordfrankreich darstellen wollte. Zeitweilig galt deshalb auch der von den überraschten Deutschen überlieferte Ausruf „Sie kommen!“ als Titel der Fotoserie.

Sie sind da, kann man nun sagen, endgültig angekommen im Entree des gestern eröffneten Museums für Fotografie in der Jebenstraße, das im Erdgeschoss und im ersten Stock die Helmut-Newton-Stiftung beherbergt. Als Standort haben die gigantischen Grazien passenderweise jene Nischen bekommen, in denen sich ursprünglich die Offiziersbilder der fünf Regimenter befanden. Für sie war der 1909 errichtete Bau ursprünglich als Casino gedacht. Ein Paradigmenwechsel der besonderen Art. Kunst macht ihn möglich, realisiert aber wird er durch die Helmut-Newton-Stiftung, die den Umbau des wilhelminischen Baus am Bahnhof Zoo komplett finanzierte.

Was die Stiftung Preußischer Kulturbesitz seit fünf Jahren vergeblich anzuschieben versuchte, nämlich die Gründung eines Zentrums für Fotografie, konnte nun dank Helmut Newtons Engagement umgesetzt werden. Innerhalb kürzester Zeit: Vor nicht einmal einem Jahr wurde der Vertrag zwischen der Stiftung und dem Starfotografen, der Berlin als Dauerleihgabe tausend Bilder seines Archivs überlässt, geschlossen. Ungeduldig hatte er die Umbauarbeiten vorangetrieben und sollte trotzdem die auf den Geburtstag seiner Frau June terminierte Eröffnung nicht mehr erleben. Anfang des Jahres starb der 83-Jährige bei einem Autounfall. Das Museum ist sein Vermächtnis.

Auch ohne diese tragischen Umstände – am Mittwoch wurde Newton auf dem Friedenauer Friedhof unweit von Marlene Dietrichs Grabstätte beigesetzt – sollte der erste Auftritt in den von Paul und Petra Kahlfeldt sehr gediegen sanierten Räumlichkeiten dem großen Spender gelten. Erst in zwei Wochen wird der eigentliche Hausherr, das Museum selbst, mit einer eigenen Präsentation folgen: nicht im edlen Ambiente wie die Newton-Stiftung, sondern in morbider Kulisse, in den Ruinen des ehemaligen Kaisersaals im Obergeschoss. „Eine Berlinische Lösung eben“, erklärte Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann zur Eröffnung. Nur peu-à-peu wird man die eigenen Räume erneuern. Von den einst hochfliegenden Plänen, der Zentralisierung sämtlicher Fotobestände der Staatlichen Museen, Ankäufen gar, spricht niemand mehr. Es bleibt abzuwarten, aber vermutlich wird das Museum für Fotografie weit eher als Newton-Haus im Bewusstsein bleiben.

Der erste Schritt ist mit der furiosen Doppelausstellung zur Eröffnung getan. Sie zeigt nach vorne, zur Straße hin, „Us and Them“, nach hinten, zur Rückfront, „Sex and Landscapes“ – wie die beiden Seiten einer Medaille. „Us and Them“ ist das berührende Dokument einer fünf Jahrzehnte währenden Liebes- und Arbeitsbeziehung zwischen Helmut und June Newton. Die Kamera war das Medium, durch das sie sich selbst und andere beobachteten und analysierten. Den zentralen Raum prägen zwei riesige Doppelporträts aus jungen Jahren, in denen der Kurator der Newton-Stiftung, Matthias Harder, zu Recht Vorläufer von Thomas Ruff sieht. Weit mehr als diese überraschende Aktualität fotografischer Ästhetik berührt der Blick nach draußen: Durch die transparenten Gazevorhänge wird die Wartehalle des Bahnhofs Zoo sichtbar. Von hier aus trat der gebürtige Berliner 1938 die Reise ins Exil an, das vis-à-vis gelegene Casino-Gebäude war der letzte Eindruck, den er auf seine Flucht mitnahm.

Diese wehmütige Erinnerung war auch der Anlass, warum sich Newton für den heruntergekommenen Kasten, in dem sich die Kunstbibliothek und zuletzt Museumsdepots befanden, als Domizil für seinen Nachlass entschied. Für einen symbolischen Euro überließ der Senat die Liegenschaft den Staatlichen Museen, als Geste gegenüber dem Heimgekehrten. Die melancholische Stimmung bleibt, ja, sie nimmt zu auf dem Weg zu den letzten Bildern dieser ungewöhnlichen Gemeinschaftsausstellung. Ohne Scheu, in jeder Situation fotografierte sich das prominente Künstlerpaar: ob verkabelt bei einer ärztlichen Untersuchung oder verkatert nach langer Nacht im Hotel. Das letzte Bild stammt von June. Es zeigt Newton auf dem Totenbett, an ihm noch die Requisiten der vergeblichen Wiederbelebungsversuche. Über ihn beugt sich seine Witwe.

Der Kontrast könnte nicht größer sein zu „Sex and Landscapes“, und doch beschreibt er zwei Konstanten in Newtons Bildwelt: Eros und Thanatos. Kein Wunder, dass in den „Big Nudes“ auch KZ-Aufseherinnen gesehen wurden, eine Deutung, um die sich Newton trotz der Verfolgung seiner Familie im Dritten Reich wenig kümmerte. „Sex and Landscapes“ wagt eine höchst eigenwillige Kombination aus Aktbildern, die sich teils hart an der Grenze zur Pornografie befinden, und Landschaftsaufnahmen. Ausgerechnet Seen, Wälder, Sonnenuntergänge, könnte man meinen, aber dazwischengehängt mildern sie geschickt die großformatigen Sado-Maso-Spiele ab und lenken die Aufmerksamkeit auf einen anderen Newton.

Diese weitere Facette zeigt die Komplexität seines fotografischen Blicks, der sich bei weitem nicht auf Mode und Models reduzierte. Und trotzdem beginnt man zu ahnen, dass sich die Fokussierung künftiger Präsentationen auf Newtons Werk eines Tages als Nachteil erweisen könnte. Nicht nur, dass die „Big Nudes“ im Entree als Dominas unnachgiebig über Newtons Nachlass wachen. Selbst wenn sie freundlich gesonnen sind, an ihnen muss jeder andere Fotokünstler erst einmal vorbei.

Museum für Fotografie, Jebenstr. 2, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr. Katalog „Us and Them“ (Scalo-Verlag) 19,95 €, „Sex and Landscapes“ (Taschen) 29,99 €.

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