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Kultur: Ein bisschen Nestwärme

Seit 1963 lädt der DAAD Künstler nach Berlin – hier knüpft Ariane Beyn die richtigen Kontakte

Sie geben Geld und machen es möglich, dass junge Künstler eine Weile ohne finanziellen Druck arbeiten können: Berliner Stiftungen und andere Institutionen, bei denen man sich für Stipendien oder Ateliers bewerben kann. In unserer Sommerserie stellen wir diese Einrichtungen vor – und die Menschen, die ihnen ein Gesicht geben.

Drinnen ist die Kunst, draußen sind die Touristen. Busse fahren am Schaufenster vorbei, Fußgänger schlendern in Grüppchen über den Gehsteig zum Souvenirshop oder gleich noch ein bisschen weiter die Straße hinunter zum Checkpoint Charlie, um einen Arm um die Grenzer in ihren Kostümen zu legen und ein Foto schießen zu lassen. Man kann Berlin so erleben. Die Gäste des Künstlerprogramms vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sollen jedoch einen anderen Alltag der Stadt kennenlernen. Auch wenn die Galerie, in der die Stipendiaten ausstellen, genau auf der Touristenmeile liegt – in der Zimmerstraße.

„Unsere Künstler sollen richtig nach Berlin ziehen“, sagt Ariane Beyn, die die Abteilung für Bildende Kunst und die dazugehörige Galerie leitet. Und deshalb bleiben die Stipendiaten gleich ein ganzes Jahr. Eine Wohnung wird bereitgestellt, ein Atelier. Wer die Familie mitbringen möchte, für den kümmert sich der DAAD um Kindergartenplätze und Schulen. Ein Deutschkurs wird ebenfalls angeboten. Die meisten nehmen ihn wahr. „Ob sie danach Deutsch können, ist eine andere Frage“, gibt Ariane Beyn zu. Heute kommt man in Berlin auch wunderbar mit Englisch aus.

1963 hatte die amerikanische Ford-Foundation das Stipendienprogramm gegründet. West-Berlin sollte den Anschluss an die internationale Kunstszene nicht verlieren. Ein Jahr später übernahm der DAAD die Leitung. Mit dem Fall der Mauer schienen Sinn und Zweck erst einmal verloren gegangen zu sein. Doch gerade in diesem Vakuum fanden sich neue Aufgaben. Nicht nur, dass im Berlin der neunziger Jahre Plattformen für zeitgenössische Kunst fehlten. Das hat sich ja nun geändert. Das Künstlerprogramm begann, Kontakte zur osteuropäischen Kunstwelt aufzubauen. Es galt vieles nachzuholen. Heute ist die Situation wieder eine andere. Berlin hat sich zu einer der wichtigsten Produktionsstätten für bildende Künstler zwischen New York, London und Paris entwickelt. „Jetzt achten wir darauf, wen wir einladen könnten, der nicht automatisch hierher kommen würde“, sagt Ariane Beyn. Und wieder rücken neue Länder und Kontinente ins Blickfeld, Afrika oder Südamerika etwa. Im kommenden Jahr ist Tracey Rose aus Südafrika zu Gast oder Theo Eshetu, der in Äthiopien aufgewachsen ist und nun in Rom lebt.

Doch nicht nur bildende Künstler, auch Musiker, Schriftsteller und Filmemacher werden jedes Jahr vom DAAD eingeladen. Das Programm wird zu 80 Prozent aus Mitteln des Auswärtigen Amts und zu 20 Prozent des Berliner Senats finanziert, der Gesamtetat für die Stipendien aller Sparten und für den dichten Veranstaltungskalender mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten und Vorträgen lag in diesem Jahr bei knapp zwei Millionen Euro. 20 Gäste werden jedes Jahr eingeladen, sechs davon sind bildende Künstler.

Nicht immer entsteht gleich im Jahr des Stipendiums ein gemeinsames Projekt. „Manchmal erst drei Jahre nach dem eigentlich Aufenthalt“, sagt sie, „wir denken langfristig.“ Die Künstler laufen ihr nicht weg. Im Gegenteil. „70 Prozent bleiben in der Stadt“, sagt Ariane Beyn. Und auch wer erst einmal geht, kommt immer wieder. Das Künstlerprogramm ist eine stetig wachsende Familie. Und Ariane Beyn pflegt und hegt die Beziehungen. Ihre Stipendiaten nimmt sie mit ins hauptstädtische Kulturleben, stellt sie Leuten vor, von denen sie glaubt, dass sie den Künstlern noch einmal hilfreich sein können, Galeristen, Museumsleute, freie Kuratoren, andere Künstler. Beruf und Freizeit – die Grenzen verschwimmen bei diesem Job. „Aber ist das nicht bei allen in der Kunstszene so?“, fragt Ariane Beyn. Sie ist niemand, der auf Vernissagen im Mittelpunkt stehen will. Ihr dichtes Netzwerk knüpft sie still und leise. Und über sich selber redet sie eigentlich gar nicht so gerne. Wenn sie von ihrer Arbeit spricht, dann sagt sie immer „wir“. Nie „ich“. In Hamburg ist sie aufgewachsen, in München und Berlin studierte sie Kunstgeschichte. Seit 1994 ist sie in der Stadt, arbeitete nach dem Studium als freie Kuratorin und ein Jahr am CCA Wattis Institute for Contemporary Arts in San Francisco. Ariane Beyn lehrt an Universitäten und war künstlerische Leiterin der ersten Ausgabe der Kunstmesse Art Berlin Contemporary (abc). Als Leiterin der daad-Galerie ist sie nun in der glücklichen Lage, theoretisch mit allen ehemaligen Stipendiaten des Programms Ausstellungen zu entwickeln. „Ich kann aus den Vollen schöpfen“, sagt sie.

Marina Abramovic, Christian Boltanski, Richard Hamilton, Pippilotti Rist, Daniel Spoerri, Erwin Wurm – sie alle waren schon da, und das ist nur eine kleine Auswahl großer Namen. Chancen haben aber auch junge aufstrebende Künstler, wenn sie denn vorgeschlagen werden. Eine Jury vergibt die heiß begehrten Plätze, anders als in den anderen Sparten, wo man sich bewerben kann. In der Vergangenheit waren unter den Juroren Bice Curiger, die die diesjährige Venedig-Biennale kuratiert hat, Hans-Ulrich Obrist oder Okwui Enwezor, der im Herbst das Haus der Kunst in München übernimmt. Ausgesucht wird das Auswahlkomitee von Ariane Beyn. So kann sie Schwerpunkte setzen, je nachdem, welchen Kurator mit welchem Spezialgebiet sie aussucht.

Außerdem betreut die 39-Jährige die Ausstellungen der daad-Galerie, entwickelt zusammen mit den Künstlern Konzepte. Der Raum in der Zimmerstraße ist das Schaufenster der Institution, die Schnittstelle zu den Berlinern.

Das Künstlerprogramm öffnet sich aber auch immer mehr anderen Institutionen, es arbeitet mit dem Hamburger Bahnhof zusammen oder beteiligte sich an der Temporären Kunsthalle und an der jüngst zu Ende gegangenen Ausstellung „Based in Berlin“. Der junge Franzose Cyprien Gaillard installierte einen Indianerkopf aus Neonröhren im Stile einer Leuchtreklame auf dem Haus der Statistik. Auch das ist Ariane Beyn wichtig: noch mehr mit der Kunst auf die Straße gehen. Sichtbar werden.

Ob die „Artists in Residence“ an neuen Projekten arbeiten oder einfach nur einmal Zeit zum Recherchieren haben wollen – Ariane Beyn lässt ihnen die freie Wahl. Die walisische Konzeptkünstlerin Bethan Huws nutzte 2007 ihr Berliner Jahr, um die komplette Literatur zu Marcel Duchamp durchzuarbeiten. Sie wurde kaum fertig. Wann ist das Stipendium erfolgreich? „Wenn die Künstler eine Entwicklung gemacht haben und dies dann in ihrem Werk sichtbar wird“, findet Ariane Beyn. Ihr geht es nur um die Kunst. Um nichts anderes.

daad-Galerie, Zimmerstr. 90/91. Am 11.8. eröffnet Robert Fenz seine Ausstellung von 19-21 Uhr.

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