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Kultur: Ein echter Kerl

Der Berliner Dramatiker Lothar Trolle wird 70.

Seinen 70. Geburtstag feiert der Dramatiker Lothar Trolle zwar erst heute. Aber einer der besten Toasts auf ihn wurde schon vor ein paar Jahren ausgebracht. – vvon der Schauspielerin Corinna Harfouch. Im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow las Harfouch Anfang 2008 aus Trolles „Gesammelten Werken“, die kurz zuvor im Alexander Verlag erschienen waren. Mit Hilfe eines Styroporkopfes ließ sie die „Szenen einer Lady“, Trolles Übermalung der Shakespeare’schen Macbeth-Gattin, auferstehen und sächselte kongenial die Einlassungen zweier Supermarktkassiererinnen über „Gadzen“ (Katzen) und „Gerle“ (Kerle) aus den „81 Min. des Fräulein A.“ auf die Bretter. Anschließend erklärte Harfouch, dass Lothar Trolle – „einer der größten lebenden Autoren“ – zwar weitgehend verkannt sei. Aber, fügte sie an und erhob das Glas zum besagten Toast: „Das werden wir auch noch ändern!“ Voilà. Bis heute gilt der sprachlich wie inhaltlich komplexe Autor, der sich seit jeher wenig um gängige Muster schert, eher als Insidertipp denn als (Bühnen-)Mainstream. Heiner Müller lobte ihn: „Im Übrigen gleicht er nur sich selber, kratzen Staats- und Sonnenuntergänge nicht an seiner Identität."

Aufgewachsen in Brücken im Kreis Sangerhausen, wo er die Parallelklasse seines späteren Dramatiker-Kollegen Einar Schleef besuchte, verdiente Trolle sein Geld nach dem Abitur zunächst als Handelskaufmann, Transport- und Bühnenarbeiter. Seit 1965 in Berlin, studierte er bei Wolfgang Heise an der Humboldt-Universität Philosophie und arbeitete anschließend als freier Schriftsteller. „Komisch: Ich wurde nie gespielt, galt aber als provokant“, brachte er seine Situation in der DDR mal lakonisch auf den Punkt. Was Wunder – verfasste er doch in den frühen Siebzigern, zusammen mit Thomas Brasch, Texte wie „Greikemeier“, ein Stück über den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, in dem neben „Stalins Geist“ auch „die Sorge“ und „die sieben Todsünden des Sozialismus“ auftreten. Es sollte nie das DDR-Bühnenlicht erblicken. Dafür gab Trolle ab 1981 mit Uwe Kolbe und Bernd Wagner die literarische Untergrundzeitschrift „Der Kaiser ist nackt“ (später „Mikado“) heraus, in der Kollegen wie Wolfgang Hilbig, Katja Lange-Müller oder Bert Papenfuß-Gorek schrieben.

Der ganz große Bühnendurchbruch indes blieb – trotz Frank Castorfs Trolle-Uraufführung „Hermes in der Stadt“ 1992 am Deutschen Theater Berlin – auch nach dem Mauerfall aus: leider nicht ganz ungewöhnlich für einen, der überzeugt ist, dass das Theater „nur eine Existenzberechtigung außerhalb des Amüsierbetriebs“ hat. Den Herausforderungen des Amüsierbetriebsskeptikers stellt sich neben der Volksbühne zurzeit vor allem das Kinder- und Jugendtheater an der Parkaue. Dort wird heute Abend im Anschluss an die Aufführung von Trolles jüngstem Berliner Märchen „Sie leben! Sie leben! Sie leben noch immer!“ gebührend gefeiert. Christine Wahl

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