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Kultur: Ein Engel lässt Federn

Starauflauf: „Die Hochzeit des Figaro“ in Salzburg

Früh mehren sich die Zeichen. Der Herr Ober im Restaurant spricht von einem „Jahrhundertereignis“, „ach, wer do dobei sein kann, den beneid’ ich!“ Dienstags kommt die Nachricht, dass Anna Netrebko Österreicherin wird. Die Premiere des „Figaro“ am Mittwoch, mit Netrebko als Susanna und Nikolaus Harnoncourt und den Wiener Philharmonikern, ist achtfach überbucht. Und außerdem wird mit dieser dritten Festspiel-Oper in Salzburg das „Haus für Mozart“ (vulgo: das umgebaute Kleine Festspielhaus) eingeweiht. Angemessene Rechtfertigung also für bis zu 600 Euro teure Plätze, genügend Erlesenheit auch für die Prominenz aller Spielarten und Himmelsrichtungen: DJ Ötzi und Richard von Weizsäcker, Thomas Gottschalk und Placido Domingo.

Und all das für Anna Netrebko? Sicher nicht nur. Aber auch. Sie kommt als Kammerzofe Susanna allerdings züchtig daher, schwarzberockt und weißbeschürzt, in den Nicht-Farben von Christian Schmidts Bühnen- und Kostümbild. Fast ist ihre Stimme zu groß, zu leuchtend für die Susanna. Aber Netrebko drängt nicht über ihre Figur hinaus, und auch dafür liebt ihr Publikum sie: Der darling der Festspiele, letztes Jahr als Violetta gefeiert, kann gut damit leben, dass neben ihr andere große Sängerinnen stehen, Dorothea Röschmann als Schmerzen erleidende Gräfin von edelster Stimmfarbe, und Christine Schäfer als Cherubino.

Schäfer wird es sein, die den tiefsten Eindruck hinterlässt. Mit ihrem fabelhaft nervösen „Non so più“, einem geradezu benebelnden „Voi che sapete“. Es klingt nicht einmal besonders schön. Aber Schäfer wagt es, zu sprech-singen, spröde zu klingen und derweil doch einzelne Leuchtbuchstaben auszusenden. Eben darum (oder trotzdem?) schafft sie große Augenblicke.

Regisseur Claus Guth versammelt die gräfliche Wohngemeinschaft in einem klassizistischen Treppenhaus, mit Stiegen ins Nirgendwo. Seinem Cherubino stellt er einen Doppelgänger zur Seite, geflügelter Amor-Cherubim (Uli Kirsch), der stumm durchs Geschehen gaukelt, bisweilen weiße Federn wirft und mit zarten Hand- und Armbewegungen die Protagonisten führt wie Marionetten. Gleich anfangs tritt dieser Cherubim auf, von links durch ein hell sich öffnendes Fenster in eine Szene springend, in der die Paar-Konstellationen seit langem eingefroren sind: der Graf (Bo Skovhus mit dezentem Timbre) und die Gräfin. Figaro (viril knarzend: Ildebrando D’Arcangelo) und Susanna. Marcellina (Marie McLaughlin, mit leicht metallischer Farbe, doch reichlich komischem Talent), und Bartolo, ein mehr als Behäbiger, dem Franz-Josef Selig eine rauchig-voluminöse Stimme leiht.

Sie alle erweckt der Cherubim nun. Bewegung, Bewegung! Malt im zweiten Akt ein kompliziertes Schema der Liebeshändel an die Wand, fährt später auf dem Einrad durch die Menge der Verstrickten, perlt vom leicht schmierigen, sich in der Liebe nur noch Eselshaut wünschenden Kuppler Basilio (Patrick Henckens) ab wie Wasser von der Gore-Tex-Jacke und wird zum Schluss, als sich alles traurig-versöhnlich aufgeklärt hat, ein letztes Mal sein Liebes-Glück versuchen, die Figuren berühren – und wieder abgewehrt. Wie Zinnfiguren stehen die Paare da, wild entschlossen, dass es gerade und genau so weitergehen muss. War da was? Etwa ein toller Tag? Nö. Nur Cherubino, der ewig Erwachende, fällt unter der Berührung wie tot zu Boden.

Diese Inszenierung bohrt nicht. Eleganz bleibt ihr größtes Merkmal; „sso ssubtil“, werden die Besucher in der Pause salzburgerln, oder: „Wenn man den ,Figaro’ so gut kennt wie wir alle, und trotzdem sagen kann, es ist spannend ...“

Ja, dann. Guths Verbildlichung lässt das Klassen- und Aufklärungsmoment außen vor und spricht nur über Seelennöte, Ver- und Misstrauen, von einer Welt mithin, in der schon das Abbild eines Gartens zuviel der Äußerlichkeit wäre: Stattdessen wirft das Mondlicht Blätterschattenspiele ins Treppenhaus. Lustig wird es dabei selten, höchstens heiter. Olaf Winters Lichtkommentare, der bestürzend uniform eingekleidete Wiener Staatsopernchor, Hitchcock-Allusionen wie die Raben, die zum Fenster hineinfliegen, fügen Prisen von Abgründigkeit hinzu, die die Klarheit des Bühnengeschehens indessen nicht beschlacken.

Weil die Musik Raum braucht? Weil Harnoncourt auffällige Stimmen ausgesucht hat? Das Orchester so stark auffährt? Nichts ist hier zu hören von Papierenheit oder penetrant vorexerziertem Originalklang. Die Wiener spielen selbstbewusst wienerisch: unerhört rund die Streicher, dick glänzend die Klarinetten, weich ausschwingend das Cembalo. Harnoncourt fasst sich eher langsam als schnell, hat es lieber ruhig als spektakulär.

Und das neue Haus? Seine Ausnahme-Akustik lässt das Glasbrillantengeklingel im Foyer ebenso vergessen wie die nach Mozart-Opern benamsten Bronzetüren zum Balkon, wo sich die Festspielmeute der Ehrfurcht des unten lagernden Laufpublikums versichern kann. Der Saal ist perfekt. Seine reihenlangen Rückenlehnen bergen die Zuhörer wie Kirchenbänke: Stärkung von hinten, Ohren auf nach vorn. So lässt es sich leben.

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