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Kultur: Ein Fall für zwei

Salzburger Festspiele: Martin Kusej und Nikolaus Harnoncourt verteidigen ihren „Don Giovanni“

Die Ouvertüre zerfällt in Bild und Ton, in ein Strumpfhosenplakat der Firma Palmers und die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts, deren erste Schläge die Höllenfahrt Don Giovannis ankündigen. D-Moll gegen fünf perfekte Popos, ein Allerwelts-Arrangement in der Prospektbreite des Großen Festspielhauses. Ein ungleicher Wettstreit, denn unter den vibrierenden Händen des Originalklangpioniers Nikolaus Harnoncourt, der mit den blendend aufgelegten Wiener Philharmonikern die Partitur zelebriert, haben die weiblichen Rückansichten keine Chance.Trotzdem ist der Kontrast befremdlich genug, den Zuschauer aus allen romantischen Träumen zu rütteln: Die Frau als Model, anders kann sich Regisseur Martin Kusej die verflossenen Liebsten Don Giovannis offenbar nicht vorstellen. So wimmelt Martin Zehetgrubers Drehbühne von gut gebauten Vorführdamen: Models als Bräute, Models in Pelzen oder in Slip und BH. Es sind Models des kleinen Fachs, Wellness-Puppen für Dessous-Serien der eher biederen Art. Dem genormten Model, das in Gruppen auftritt, ist die Individualität der Frau abhanden gekommen.

Die Frau als Model siegt im Wäschegeschäft über den Mythos Don Juan. Dazu passt, dass Thomas Hampson den frauensüchtigen Kavalier locker und nahezu eigenschaftslos darstellt. Kostbares Timbre und munteres Spiel: So kommt Don Giovanni im 21. Jahrhundert an. Was seine Seele bewegt, wenn ihm in seinen letzten Tagen jedes Abenteuer misslingt, erfahren wir nicht.

Und doch: da dieser Titelheld nicht mit Satanischem ausgestattet ist und überhaupt kein erotischer Ausnahmemensch, erfährt sein Diener Leporello eine interessante Aufwertung. Ildebrando D’Arcangelo singt die Registerarie so plastisch und stellt die Nöte des Abhängigen so herzbewegend dar, dass in der Wiederaufnahme ein Regieaspekt Martin Kusejs sehr für sich einnimmt: Jeder Eroberungsversuch Don Giovannis, sein ganzes Dasein eigentlich ist ein Fall für zwei. Der Rollentausch bedarf nicht erst des Kostümwechsels, die Beziehung Don Giovanni – Leporello steht im Zentrum der Inszenierung. Da der mythische Edelmann zum Bürger der Gegenwart geworden ist, kann er als andere Hälfte seines Dieners funktionieren. Leporellos Mitteilung nach dem bösen Ausgang, er wolle sich nun einen neuen Patron suchen, klingt unwahrscheinlicher denn je: Allem Zank und Streit zum Trotz wird er einen besseren nicht finden, weil – Knecht oder Herr – einer Teil des anderen war.

Vor den Spritzern Theaterbluts an der Wand stirbt der Komtur den Theatertod durch Giovannis Degen, um auf dem Kirchhof als Video wiederzukehren: Die Autorität Kurt Molls ist eher gütig als dämonisch, Steinerner Gast im Smoking (Kostüme: Heide Kastler). Mit dem erregten Accompagnato der Donna Anna reißt Harnoncourt die musikalische Führung aus der geschmäcklerischen Dessous-Optik, die ein Personenregisseur wie Kusej eigentlich nicht nötig hätte.

Anna Netrebko, die Wunderrussin, ist Frau, Stimme und Schauspielerin. Was neben der Leichtigkeit ihres Singens imponiert, heißt Interpretation, eigene Vorstellungskraft. Da ist nicht nur das betörende Pianissimo, das stockende Mio padre und Quel sangue, sondern auch die Wandlung des Ausdrucks bei der melodischen Wiederholung der ersten Arie. In der zweiten gelingt der Affektwechsel vom Larghetto des Schmerzes zum Allegro der Hoffnung – Harnoncourt geschuldet? – zu schwach. Etwas Dramatik sollte Netrebkos Lieblichkeit noch zuwachsen. Melanie Diener repräsentiert die Passion der Donna Elvira mit rührend leidenschaftlichen Tönen, Isabel Bayrakdarian als zärtliche Zerlina ist Verführte und Verführerin zugleich. Christoph Strehl in der Rolle des Don Ottavio, ein Phrasierungsfetischist mit schönen tenoralen Gaben, und Luca Pisaroni als Masetto verkörpern, szenisch einander spiegelnd, das Paar der betrogenen Männer: Auch dies ein Schicksal für zwei.

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