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Kultur: „Ein gefährlicher Präzedenzfall“

Von Elke Windisch Goluboj heißt eigentlich hellblau. In der russischen Umgangssprache bedeutet es aber auch schwul.

Von Elke Windisch

Goluboj heißt eigentlich hellblau. In der russischen Umgangssprache bedeutet es aber auch schwul. „Der himmelblaue Speck“ ist kein Roman, in dem es um Kulinarisches geht, sondern um die Befindlichkeiten eines Mannes mit „abweichender sexueller Orientierung“, wie das prüde Russland die Homosexuellen immer noch nennt. Als Autor firmiert Vladimir Sorokin, ein Schriftsteller, der mit seinem Buch dem Ziel erheblich näher gekommen ist, sich nicht nur international, sondern auch im eigenen Land einen n zu machen. Allerdings um einen hohen Preis: Derzeit ermitteln Moskauer Staatsanwälte gegen den 46-jährigen Postmodernisten: wegen angeblicher „Verbreitung pornografischer Inhalte“ – geht es im Roman doch unter anderem um den Intimverkehr geklonter Sowjetführer. Am morgigen Montag ist Sorokin zur Vernehmung geladen.

Angeblich basieren die Ermittlungen auf einer Expertise des russischen Kultusministeriums. Gott behüte, hieß es dort jedoch, als kritische Medien gleich nach Bekanntwerden des Vorgangs Krach schlugen. Anatolij Wilkow, Leiter der Abteilung zum Schutz von Kulturgütern, behauptet, einen derartigen Antrag der Staatsanwaltschaft gar nicht erst erhalten zu haben. Ohnehin sei seine Behörde zu solchen Gutachten gar nicht befugt. Inzwischen griff Kultusminister Michail Schwydkoj persönlich ein: Wenn in Moskau Leute, die Hitlers „Mein Kampf“ vertreiben, nicht verfolgt würden, dafür aber Schriftsteller, so Schwydkoj in einem Radio-Interview, „dann ist das ein gefährlicher Präzedenzfall“.

Gestellt hat die Strafanzeige die Jugendbewegung „Iduschtschije wmestje“ (Gemeinsamer Weg). Sie gründete sich nach der Schlüsselübergabe im Kreml am letzten Tag des vergangenen Jahrtausends und wirbt seither kompromisslos für Putin, meist mit spektakulären PR-Aktionen, für die das Präsidentenamt angeblich stiller Zahlmeister sein soll. Ihren bisher krassesten Coup landete die „Putin-Jugend“, wie die ausgerechnet hellblau gewandeten Kids oft genannt werden, Ende Januar mit einer Pressekonferenz in der russischen Nachrichtenagentur „Interfax“. Dort boten sie den kostenlosen Umtausch schädlicher Bücher gegen nützliche an. Auf dem Index standen Karl May und Karl Marx, dessen gesammelte Werke die Putin-Fans an dessen Denkmal in Chemnitz den Flammen übergeben wollten. Lenin dagegen sollte das Autodafé erspart bleiben.

Keine Gnade vor den Augen der selbst ernannten Tugendwächter fanden indes die Bestsellerautorin Alexandra Marinina, deren anspruchsvolle Krimis die Moskauer sogar in der überfüllten Metro verschlingen, und „entartete Lustmolche“ (O-Ton Pressekonferenz) wie Vladimir Sorokin. Mit dessen Werken füllte die Putin-Jugend, just als deren Strafanzeige publik wurde, eine riesige Toilettenschüssel, in die sie ungelöschten Chlorkalk kippten. Ein symbolträchtiger Akt: Zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges hatte Putin versprochen, die „Banditen auf dem Lokus zu massakrieren“. Eine Obszönität, deren Verwendung russischen Zeitungen gewiss die Drucklizenz kosten würde.

Eigentlich, fand Bürgerrechtler Sergej Paschin, der früher selbst Richter war, müsste Putin und seiner Jugend wegen dieses Satzes der Prozess gemacht werden: wegen Verstoß gegen die öffentliche Moral. Das Verfahren gegen Sorokin indessen, in dem der Oberjugendliche Wassilij Jakimenko „erste Zeichen für die beginnende moralische Gesundung unserer Gesellschaft“ ausmacht, hat Paschin zufolge hingegen keine Erfolgschancen. Denn die vor Beginn der Ermittlungen eingeholten Gutachten seien nichtig, für eine neues, hieb- und stichfestes dagegen, müssten sowohl Philologen als auch Literaturwissenschaftler herangezogen werden.

Die aber kämen in den 25 Tagen, die das neue Strafgesetzbuch für derartige Ermittlungen vorsieht, kaum zustande, so Paschin. Außerdem hoffe er, dass „die Verfassung die Rechte des Autors und dessen schöpferische Freiheit schützt, wie sie das Grundgesetz jedem garantiert“.

Hinter dieser Aktion, fürchtet der bedrängte Autor selbst, stehe „etwas Größeres: der Wunsch, unsere Kultur zu säubern, sie steril, hörig und berechenbar zu machen. All das ist ein Rückfall in die düstere Breschnew-Ära, womöglich sogar in die Stalin-Zeit.“ Sorokin will sein Werk daher mit allen Mitteln verteidigen: „ehrlich, so offen und öffentlich wie möglich“. Zumindest der Beistand der Kollegen ist ihm sicher – in der stets eifersüchtigen Zunft durchaus keine Selbstverständlichkeit.

So sagt etwa Schriftsteller-Kollege Alexander Kabakow, er möge Sorokin zwar nicht besonders, noch weniger behage ihm jedoch das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft sei „das letzte verbliebene und leider auch das dümmste aller Sowjetorgane. Das Gericht ist hoffentlich zurechnungsfähiger.“

Dass der Fall vor den Kadi kommt, glaubt auch Kabakow nicht: „Um beim Leser Emotionen, wenn auch primitive hervorzurufen, muss der Schriftsteller selbst welche haben. Sorokin aber ist ein eiskalter Typ, bei dem sich alles nur im Kopf abspielt. Zwischen ihm und Henry Miller liegen Welten.“

Andrej Bitow, ein weiterer Star der schreibenden Zunft, plädiert für eine Flucht nach vorn: „Man müsste die Staatsanwaltschaft mit einer Gegenanzeige wegen Verbreitung pornografischer Literatur zur Strecke bringen.“ Wohl wahr: Seit das Pornografie-Verfahren gegen Vladimir Sorokin läuft, findet „Der himmelblaue Speck“ (auf Deutsch im Dumont-Verlag erschienen) auch in Russland reißenden Absatz.

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