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Kultur: Ein Glas Wein mit Apollinaire

Die Luft ist schwer vom Rauch der Zigaretten, wie Qualmwolken ziehen Gedanken durch den Raum - philosophische, künstlerische, poetische, politische.Café Rotonde in Paris am Anfang unseres Jahrhunderts: Guillaume Apollinaire, Dichter und Maler, trifft auf Adrienne Monnier, Schriftstellerin und Inhaberin eines Buchladens der Avantgarde.

Die Luft ist schwer vom Rauch der Zigaretten, wie Qualmwolken ziehen Gedanken durch den Raum - philosophische, künstlerische, poetische, politische.Café Rotonde in Paris am Anfang unseres Jahrhunderts: Guillaume Apollinaire, Dichter und Maler, trifft auf Adrienne Monnier, Schriftstellerin und Inhaberin eines Buchladens der Avantgarde.Der russische Journalist Ilja Ehrenburg legt seinen Arm um die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein.Amedeo Modigliani, Maler und Bildhauer, schnorrt Zigaretten, und kurz stürmt der kroatische Schriftsteller Tin Ujevic herein.Fremde sind sie, geflohen vor politischer Intoleranz, bürgerlicher Engstirnigkeit oder geistiger Trägheit.Paris atmet den Geist der Freiheit, des "Savoir Vivre".Man trifft sich hier, im Café Rotonde, um zu reden, Schach zu spielen, Zigaretten zu rauchen oder sich zu betrinken.

In seinem "Café der Intuitionen" möchte das Berliner Theater Windspiel diesen Geist auferstehen lassen, bis in das Jahr 2000 hinein.Für 47 Pfennige Eintritt können Besucher an jedem Zwölften eines Monats in eine Gesellschaft eintauchen, in der heutige Künstler und Bohémiens - viele aus dem Osten Europas - auf die historischen Gestalten treffen - dargestellt von Schauspielern des Ensembles.Die Gruppe wird erweitert durch einen Lebenskünstler mit blau-grünem Haar und einen Denker, dessen ostinates Thema die Zigarette ist.Daneben wandert Regisseur Nik"sa Eterovic durch das Theater und sucht die Mitte - eine skurrile Inszenierung.

Kunst wird geboten, Lieder auf russisch oder jiddisch, Gedichte auf französisch, kroatisch oder russisch und immer wieder philosophische Diskussionen, zum Teil in poetischer Form: über das "Fremdsein", über Zigaretten und vieles mehr.Es ist nicht leicht, zu folgen, schon gar nicht, den roten Faden zu finden.Niemand kann davor sicher sein, nicht plötzlich im Mittelpunkt der Handlung zu stehen.Der Besucher nimmt Teil, kann mitreden, oder wird von "Modigliani" gemalt - für ein Glas Schnaps.

Den Raum gestalten Bilder der Malerin Marie-Claire Feltin, die von Gedichten des kroatischen Schriftstellers Ujevic inspiriert sind.In einer Ecke gibt es eine Bar.Ein Glas Rotwein kostet 4 Mark oder 1 Franc 50, wie im Café Rotonde - leider gilt der deutsche Preis.Gleich daneben hängt ein Kalligramm: Die Silben eines Verses von Apollinaire sind im Uhrzeigersinn angeordnet.Feltin wird es im Laufe des Abends mit warmen Farben zu einem Kunstwerk vollenden, begleitet von den Kommentaren des Regisseurs: Er kann nicht verstehen, warum der Dichter die Frauen zu warmen Farben inspiriert.Nach einer Stunde kommt die Suppe.Die Intuition des Kochs liegt auf dem Teller: Sie ist vor allem sättigend.Davon abgesehen lohnt sich die Reise in eine andere Zeit.Am Ende gehören auch die Besucher fast zur "Familie".

Theater Windspiel, Berliner Straße 46, an jedem 12.eines Monats um 19.47 Uhr

RAOUL FISCHER

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