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Kultur: Ein Haus für die Nation?

Die Opposition im Bundestag versucht, die geplante Berliner Opernstiftung zu kippen – und plädiert für eine eigenständige Staatsoper

Vor zwei Jahren wurde schon eine Oper über sie geschrieben, jetzt will Angela Merkel selbst zur Opernheldin werden: Im marmorglänzenden Apollosaal der Berliner Staatsoper präsentiert die CDU-Chefin höchstpersönlich den Antrag, mit der die vereinten Fraktionen von CDU/CSU und FDP im Bundestag in allerletzter Minute noch versuchen wollen, das Stiftungsgesetz für die Berliner Opernhäuser zu stoppen. Ein spektakulärer Schritt: Noch nie in den vergangenen sechs Jahren hat die Opposition ein kulturpolitisches Thema so ernst genommen. „Es geht um Deutschland und eines seiner Aushängeschilder“, begründet Merkel die Initiative, die entweder die Errichtung einer eigenständigen zivilrechtlichen Stiftung für die Staatsoper oder, als zweitbeste Lösung, die Eingliederung in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorsieht – nichts anderes als die De facto-Übernahme des Traditionshauses durch den Bund.

Wie sehr die Opposition entschlossen ist, jetzt beim Thema Kulturpolitik Einigkeit zu demonstrieren, zeigt schon ein Blick aufs Podium: Neben der FDP und ihrem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt stellt auf einmal selbst die CSU das bayrische Partikularinteresse hintan und macht sich für die Staatsopern-Übernahme stark. Wie Italien mit der Mailänder Scala und Österreich mit der Wiener Staatsoper, erklärt der Vizevorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Peter Gauweiler, so brauche auch Deutschland endlich seine „Nationaloper“.

Und diese Rolle soll nun das baulich noch immer marode Haus unter den Linden übernehmen. „Diese Lösung ist der Geschichte des Hauses als ehemals königlich preußischem Opernhaus angemessen, sie ist kulturpolitisch angemessen und sie ist finanziell möglich“, fasst Gerhardt zusammen; er beschreibt das von ihm favorisierte Modell einer zivilrechtlichen Stiftung Staatsoper als „großartige Chance“, die nicht nur von der Politik, sondern von der gesamten Gesellschaft wahrgenommen werden müsse“. Denn die soll nach dem Willen vor allem der FDP die neue Nationaloper kräftig mitfinanzieren: durch Zustiftungen, für die angeblich schon namhafte Privatpersonen und Unternehmen bereitstünden.

Über die schwiegen sich allerdings sowohl Merkel und Gerhardt wie auch Hans-Dietrich Genscher, der als Vorsitzender des Fördervereins der Staatsoper die Initiative angeregt hatte, beharrlich aus – ebenso wie über die Folgen, die das Aufschnüren des vom Bund finanzierten Hauptstadtkulturpakets für die übrigen Berliner Institutionen hätte. Natürlich müsse das alles neu verhandelt werden, natürlich, so der bei dem Entwurf federführende FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto, sei man sich im Klaren darüber, dass der Vorschlag „eine gewisse Mehrbelastung des Bundes“ bedeute. Es heißt, der Bund solle dann andere Berliner Institutionen wieder abgeben. Etwa das Jüdische Museum? Konkret werden will da niemand.

Freilich: So sehr alle Beteiligten auch betonen, dass es ihnen nicht um Parteipolitik, sondern um die Kunst gehe, klar ist, dass der Vorstoß gegen die Kulturpolitik der Bundesregierung und den bislang spektakulärsten Erfolg von Christina Weiss zielt, und dass sich die Opposition mit der Staatsoper gerade das kulturelle Prestigeobjekt der Republik ausgesucht hat, bei dem sich auch schon der Bundeskanzler öffentlichkeitswirksam mit seiner 3,5-Millionen-Mark-Spende engagiert hat. Dem Intendanten der Staatsoper, Peter Mussbach, und seinem Chefdirigenten Daniel Barenboim ist der Vorstoß ohnehin mehr als recht: Bei Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes sehe er „die künstlerische und wirtschaftliche Eigenständigkeit und Perspektive aller drei Opernhäuser gefährdet“, ließ der gerade im Ausland dirigierende Maestro seinen Intendanten verkünden. Bereits im Sommer hatte Barenboim im Gegensatz zu den Intendanten von Deutscher und Komischer Oper den Berliner Stiftungsentwurf heftig kritisiert, auch gegen die in diesem Rahmen vorgesehene Verschmelzung der Ballette wehrt sich die Staatsoper hartnäckig.

Die Interessengemeinschaft gegen Weiss und den Berliner Kultursenator Thomas Flierl wird mit starken Tönen bekundet: Eine „Rote Karte für die Opernfusion in ihrer bisherigen Fassung“ fordert Otto und malt ein „drohendes Siechtum“ aus; von den „Haken und Ösen des Stiftungsgesetzes“, die ein trübseliges Bild abgäben, spricht Merkel. Im Haus der Kulturstaatssekretärin reagiert man denn auch unwirsch: „Das Verlangen nach einer Bundesoper ist ein kulturpolitisches Armutszeugnis“ bügelt Weiss ab, eine Übernahme der Staatsoper sei „allein mit historischen Verweisen nicht zu rechtfertigen. Was hier wohlfeil klinge, sei „die teuerste aller denkbaren Möglichkeiten und würde das Aus für die Operntrias in der Hauptstadt bedeuten“. Die Gefahr der Quersubventionierung, die die Union im Stiftungsgesetz sehe, sei im Gegenteil bei diesem Modell ausgeschlossen.

Auch bei Berlins Kultursenator löst der Antrag Befremden aus: „Behauptungen, die Stiftung würde die künstlerische und wirtschaftliche Eigenständigkeit der Berliner Opern in Frage stellen und am Ende alle drei Opernhäuser gefährden, werden auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer“, erklärte Flierl. Ein steuerfinanzierter Verdrängungswettbewerb zwischen den Häusern sei weder kulturpolitisch sinnvoll noch erwünscht. Das sieht man an der Deutschen Oper ähnlich: Nur innerhalb der Stiftung werde es möglich sein, die Spielpläne sinnvoll aufeinander abzustimmen und kosteneffizient zu arbeiten, teilt das Haus lapidar mit. Schere die Staatsoper Unter den Linden aus diesem Berliner Verband aus, entziehe sie sich der Notwendigkeit der Selbstbefragung ihrer Strukturen. Das sei verständlich, diene aber der Sache nicht.

„Wenn der Bund die Staatsoper tatsächlich übernimmt, halte ich das finanzpolitisch für eine gute Sache“, erklärt dagegen der Intendant der Komischen Oper Andreas Homoki dem Tagesspiegel. „In diesem Fall gebe es mehr Geld für Berlin, da das Gesamtbudget der Staatsoper die bislang in Aussicht gestellten Bundesmittel bei weitem übersteigt.“ Was den künstlerischen Sinn einer eigenständigen Weiterführung der Staatsoper angeht, hat allerdings auch Homoki seine Zweifel: „Das was die Opernreform auch leisten sollte, nämlich die unproduktiven Konkurrenzen zwischen den drei Häusern abzuschaffen und in einen produktiven Dialog zu überführen, wäre erneut in Frage gestellt.“

Eine große Chance, einmal Wirklichkeit zu werden, hat das „Projekt Nationaloper“ allerdings ohnehin nicht – falls nicht eine Handvoll Opernliebhaber aus dem Regierungslager ihre Liebe für eine eigenständige Staatsoper entdeckt, tritt das Berliner Landesgesetz zur Opernstiftung Anfang 2004 in Kraft. Und die Wagner-Verehrerin Angela Merkel wird ihren nächsten „Tristan“ wohl doch unterm Stiftungsdach erleben. Und dazu vielleicht sogar in die Deutsche Oper gehen.

Jörg Königsdorf

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