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Kultur: Ein Herbstmärchen

Die Geschichte einer Rettung: Wie Caspar David Friedrichs Jahreszeiten-Zyklus restauriert wurde

Autsch! Diese Knitterfalte muss doch richtig schmerzen. Und – aua! – erst recht der Fußabtritt. Der aber ist nichts, verglichen mit dem weißen Schneegestöber, das sich als Scherbenpiekser im Papier entpuppt. Irene Brückle nimmt die Attacken mit Gelassenheit. Nicht, dass sie Schlimmeres kennt. Nein, vergleichbare Beschädigungen hat auch sie noch nicht gesehen. Aber die Chefrestauratorin des Berliner Kupferstichkabinetts muss kühlen Kopf bewahren, darf vor Mitleid nicht vergehen, auch wenn hier einer Inkunabel der Kunstgeschichte übel mitgespielt worden ist: „Die Bestürzung währt nur kurz, schon im nächsten Moment taxiert man die Schäden und plant, wie sie zu beheben seien.“

Zum Jammern gibt es keinen Grund mehr, die drei massakrierten Blätter, die Irene Brückle noch vor einem Jahr so fassungslos wie begeistert in Händen hielt, sind als geheilt aus ihrer Werkstatt entlassen und jetzt Glanzstücke des Kupferstichkabinetts. Zum Ende des 175. Jubiläumsjahres zeigt das Haus nun seine kostbarste Erwerbung der letzten Jahrzehnte: Caspar David Friedrichs ersten Jahreszeiten-Zyklus von 1803.

Es ist eine verblüffende Erfolgsstory, wie ein verloren geglaubter Markstein der Kunstgeschichte nun wohlbehalten ins Licht der Öffentlichkeit zurückkehrt. Ein Happy End mit Hindernissen, nachdem Direktor Hein-Theo Schulze Altcappenberg zumindest einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt hatte, ob die Blätter nicht eher als tragische Beispiele für kriegsbeschädigte Kunst in eine Vitrine des Deutschen Historischen Museums gehörten. Zum Glück hat er es sich anders überlegt, und auch das eigens einberufene Expertenkolloquium kam zu diesem Schluss: Die Restaurierung lohnt sich.

Schulze Altcappenberg erinnert sich noch genau, wie vor einem Jahr ein Kunsthändler an ihn herantrat, mit den Worten: „Ich habe da etwas Interessantes und Problematisches für Sie!“ Interessant zweifellos, denn der Jahreszeiten-Zyklus gehört zu den Urbildern der deutschen Romantik. Hier verweben sich zum ersten Mal programmatisch Tages- und Jahreslauf mit Natur-, Menschheits- und Kulturgeschichte, hier erscheint plötzlich die Landschaft allegorisch aufgeladen und konstruktiv durchformt, hier verwendet Friedrich erstmals auch das Motiv der Ruine von Eldena und des Greises, der im letzten Blatt, dem Winterbild, mit einem Fuß am Grabe steht. Problematisch, gelinde ausgedrückt, waren dagegen die Schäden, all die Risse, Abschürfungen, Knitterfalten. Ausgerechnet das Winterblatt überzog ein Schneegeriesel, das vermutlich von einem zersplitternden Glasrahmen stammte.

Nur so viel kann Schulze Altcappenberg über die Herkunft des Zyklus verraten, der im Caspar-David-Friedrich-Werkverzeichnis noch als verschollen galt. Er befand sich seit dem Zweiten Weltkrieg unerkannt in Südwest-Deutschland in Familienbesitz, bis dorthin lässt sich auch die Spur der Blätter rekonstruieren, seit sie Friedrichs Atelier in Dresden verließen. Die schweren Zerstörungen dürften von Kriegsschäden resultieren, vermutlich wurde dabei das Sommer-Blatt, das bis heute fehlt, vernichtet. Die drei erhalten gebliebenen Zeichnungen jedenfalls gerieten in den Wirren der Nachkriegszeit in Vergessenheit.

Ein Dachbodenfund, von dem Kunsthistoriker sonst nur träumen. Allerdings hatte er auch seinen Preis: Nur mit Hilfe der Hermann Reemtsma Stiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung kam der Kauf zustande, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief, damit der Preis nicht noch weiter in die Höhe kletterte. Im regulären Auktionsgeschäft hätte der Zyklus wohl ein Vielfaches gebracht, so soll er nur 1,25 Millionen Euro gekostet haben. Hinzu kommt die immens aufwendige Restaurierung, die zusätzliche Anstellung einer Papierexpertin. Mit dem Jahreszeiten-Zyklus betrat Friedrich nicht nur aus kunsthistorischer Sicht Neuland, er machte auch technisch einen Riesenschritt voran. Der Künstler gehörte zu den Ersten in Deutschland, die in Sepia zeichneten, eine brauntonige Pinsellavierung, die insbesondere für Landschaften geeignet ist.

Noch immer kommt Irene Brückle ins Schwärmen, denkt sie an die Momente zurück, in denen sie sich mit ihrer Lupenbrille dem Maler näherte und auf einmal die Entstehung der Komposition verstand. Zum Beispiel, als sie den winzigen Zirkeleinstich im kreisrunden Mond des Winter-Blattes entdeckte, oder als in den diffusen Bleistiftstrichen am Horizont des Herbst-Blattes auf einmal ein Gipfelkreuz sichtbar wurde. In solchen Momenten fühlte sich die Restauratorin, die selbst mit einem Kunststudium geliebäugelt hatte, dem Künstler emotional ganz nah. „Plötzlich wird der Ablauf lebendig, es ist, als würde vor dem geistigen Auge ein Mikrofilm entstehen.“ Das hält sie allerdings nicht davon ab, den fragilen Blättern mit chirurgischem Skalpell und Zahnarztspachtel beherzt zu Leibe zu rücken, um Dreckpartikel zu entfernen. Damit die Knitterfalten verschwinden, mussten die Zeichnungen in eine Feuchtigkeitskammer, um schmiegsam zu werden. Anschließend wurden sie unter Kilogewichten wieder plattgedrückt.

Wie Detektive begannen derweil Schulze Altcappenberg und seine Kustoden nach weiteren Verbindungen zwischen dem Zyklus und anderen Arbeiten im Werk Caspar David Friedrichs zu suchen. Und siehe da, sie wurden fündig, sogar in ihren eigenen Sammlungsbeständen. Die markanten Steine im Herbstblatt fanden sich plötzlich in seinen Skizzenbüchern wieder, von denen ein Großteil heute dem Kupferstichkabinett gehört. Genau jene Brocken mit ihren markanten Einschnitten und scharfen Kanten zeichnete der Dresdner Künstler bei einer Exkursion in die Sächsische Schweiz am 24. Juli 1799, wie er akribisch am oberen Blattrand notierte. Allerdings wurde aus dem monumentalen Fels nun ein Findling, der sich harmonisch ins Ganze einfügt. Hier wird auch das Prinzip von Friedrichs Bilderfindungen deutlich. Als Künstler formt er die Landschaft nach seinen Vorstellungen, um in sie Naturverlauf und Menschheitsentwicklung hineinzuinterpretieren.

Im ersten Blatt reckt ein Säugling seine Händchen gen Sonne, im letzten steht der Greis in der Dämmerung mit einem Fuß am Grab. Die Ausstellung im Kupferstichkabinett aber feiert eine Wiederauferstehung.

Kupferstichkabinett, Kulturforum, bis 11. März; Di - Fr 10 – 18, Sa / So 11 – 18 Uhr.

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