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Kultur: Ein Herz für Helden

Clint Eastwood kokettiert in seinem Film „Blood Work“ gelassen mit dem eigenen Verfallsdatum

Schon die Pillendose ist zuviel. Wenn er den Deckel mit dem Daumen hochdrückt, verzieht sich sein Gesicht unter beinahe übermenschlicher Anstrengung. Die Brauen wandern nach oben, die Mundwinkel nach unten. Das Krokodilleder um die Augen legt sich in Furchen, die Augen selbst verengen sich zu messerscharfen Schlitzen. Es wäre Clint Eastwood zuzutrauen, dass er sich die Pille trocken reinwürgt. Die Dürre in seinem Schlund ist bis in die letzte Kino-Reihe spürbar. Es ist eine Erleichterung, wenn er endlich zu einer Flasche greift, das Ding runterspült und den Schluck mit einem Seufzer ausklingen lässt. Aaaaah.

Seit etwa zehn Jahren altert Eastwood demonstrativ. Wolfgang Petersen ließ ihn erstmals für „In The Line Of Fire“ mit den Gebrechen der späten Jahre kämpfen. Geheimagent Frank Horrigan japste zwar nach Luft, aber für den Beischlaf mit einer deutlich jüngeren Kollegin reichte die Puste noch. Seitdem gab Eastwood häufiger den in die Jahre gekommenen Haudegen, der mit nachlassenden Kräften hadert, der von den Jüngeren weggebissen wird – und der dann doch über sich hinauswächst.

Diese Motive – „grauer Wolf erkennt seine Grenzen“ und „Dialog mit der Jugend“ – ziehen sich besonders durch Eastwoods Eigenproduktionen: In „True Crime“ als abgewrackter Reporter oder in seiner Science-Fiction-Komödie „Space Cowboys“. Da jagte Eastwood (wie häufig in Personalunion als Hauptdarsteller, Regisseur, Produzent und Komponist tätig) neben sich selbst auch abgehangene Mimen wie Tommy Lee Jones, Donald Sutherland und James Garner als fidele Gerontenbande ins All.

Der Eastwood, der in Jack Arnolds Trash-Filmen wie „Tarantula“ begann, der sich durch Spaghetti-Western den Weg nach oben freischoss, der uns den „Dirty Harry“ machte – er ist im Laufe einer fünf Jahrzehnte währenden Karriere zur Seite getreten und hat dem musischen, multitalentierten Charakterdarsteller Platz gemacht, dem Jazz-Liebhaber und Gelegenheits-Bürgermeister, dem selbstironischen Filmemacher. Ein beiläufiger, lässiger Duktus durchzieht seine letzten Werke. Mit 72 Jahren nimmt man sich Zeit. Und so dekorativ altern wie Eastwood möchte wohl jeder Mann. Das scheinen die Umfragen der Internetseite www.imdb.com zu bestätigen, die ihre Besucher zur Abstimmung auffordert und das Ergebnis nach Alter und Geschlecht aufschlüsselt. „Blood Work“ ist demnach besonders beliebt bei Männern über 45.

Dieses Mal ist es ein Herzinfarkt, der den von Eastwood gespielten Terry McCaleb niederstreckt. Der alte FBI-Knochen bekommt ein Spenderherz und muss sich zur Ruhe setzen. Ausgerechnet dieses Organ ist der zentrale Punkt der Story: Es gehörte einer Frau, deren gewaltsamen Tod McCaleb, kaum von der Operation genesen, aufklären will. Aufgefordert dazu wird er von der Schwester der Toten, mit der McCaleb bald Tisch und Bett teilt. Eastwoods Figur mag von Erkenntnisdrang getrieben sein, der Regisseur Eastwood ist es weniger.

Kleine logische Brüche und Continuity-Fehler bei zentralen Indizien des Mordfalls lassen einen sympathischen Schlendrian erkennen. Es gibt Wichtigeres im Leben als Perfektion, scheint dieser Film zu sagen. Die Kardiologin, sehr entschlossen gespielt von Anjelica Huston, würde da zustimmen. Die Katheter-Aufnahmen und das „Blood Work“ (zu Deutsch: Blutuntersuchung) geben ihr Recht.

Kann man das einem Helden übel nehmen, der seine welkende Heldenbrust in ihrer ganzen verletzlichen Faltigkeit zeigt, der Mobiltelefone ablehnt und auf einem Boot lebt, weil er „es hasst, den Rasen zu mähen“? Der späte Eastwood könnte auch das Telefonbuch von Los Angeles verfilmen – und es hätte zumindest den Unterhaltungswert, dass wir dabei einem kauzigen Reifungsprozess zusehen können, dessen Hauptdarsteller sich offenbar Aging vor der Kamera als Anti-Aging im Real-Leben verordnet.

Der gemächliche Puls der Handlung erscheint verzeihlich. Dafür ist „Blood Work“, Eastwoods 23. Regiearbeit, durchsetzt mit Metaphern des Lebensherbstes; allein der Showdown im Bauch eines verrottenden Frachters ist es wert, dass Eastwood seinen etwas aus der Mode gekommen Trommelrevolver Marke Smith & Wesson noch einmal durchlädt. Es gibt eine Szene, in der er wie früher mit einem Gewehr die Straße runtergeht, einen halben Block zersiebt – und die Motivation, aber auch Hilflosigkeit solchen Tuns so deutlich zeigt wie die Narben an seinem Körper. Eastwood als Gegenpol zu Charlton Heston, dem Präsidenten der amerikanischen Waffenlobby? Wer weiß, vielleicht gründet der „Pale Rider“ demnächst noch einen Verein kritischer Ballermänner.

Cinemaxx Colosseum, Cinemaxx Potsdamer Platz, Zoo Palast

Ralph Geisenhanslüke

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