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Kultur: Ein Himmel voller Arschgeigen

Kulturelle Synergie: Jockel Tschiersch liefert zu seinem Roman „Gratsch“ auch gleich die Bühnenshow

Erfolg hat auf Dauer nur der Wichtige. Nur, wie wird man das, richtig wichtig? Durch ein paar fein kalkulierte Schlagzeilen, ein hübsches Skandälchen. Rainald Goetz ritzte sich in Klagenfurt die Stirn blutig; Verona Feldbusch war einige Tage lang einem blonden Musiker zu Willen; die Sex Pistols beleidigten die Queen („and her fucking regime“) in sorgfältig zerfetzten Klamotten; Ariane Sommer schob ihr Dekolleté zuerst nicht vor jede Kamera, sondern in Schokolade.

Jörg Rabe ist von einer solch eventgesteuerten Karriere weit entfernt. Der Schauspieler ist nicht recht gefragt. Er verfettet zusehends, säuft, verlottert, trägt das letzte Geld zu einem gelangweilten Psychiater. Seine Freundin hat einen Geliebten, der Dessouslüstling Rabe behilft sich mit Kleenex und pikanten Webseiten im Internet. An der Wursttheke des Supermarkts wird der Versager ignoriert wie ein unsichtbarer Kunde.

Es ist Ernst Udet, Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, der ihn rettet. Gerüchten nach will ein Hollywoodgigant einen Film über den Helden der Lüfte drehen, in Babelsberg. Diese Rolle muss Jörg Rabe haben! Sein Traum. Und er hat einen Plan: Er wird den Medienaffen ordentlich Zucker geben. Berlin, das spürt er, ist benbeckermüde, es sehnt sich nach einem pöbelnden Russen.

Rabe joggt und liegestützt sich ins Fit-for-Fun-Format. Er macht beim alten Schauspiellehrer einen Crash-Kurs als Bösewicht. Er feilt an seiner neuen Biografie als Gratsch, Jewgenij Gratsch, Sohn eines Oberst der ruhmreichen Sowjetarmee, stationiert in Fürstenwalde, vormals DDR. Er trägt nun kurzes Raspelhaar und einen Ledermantel mit Hammer und Sichel. Der weinerliche Dicksack Rabe hat sich verwandelt, als würde sich Clark Kent sein Kostüm als Superman überstreifen.

Es klappt, natürlich klappt es, schon die erste Talk-Show beim SFB sprengt der rüpelnde Finsterling – er streckt einem Staatssekretär den blanken Hintern ins Gesicht. Gezeter! Fotos! Wer ist dieser Kinski des wilden Ostens? (Um slawischer zu wirken, klebt sich Rabe kleine Tampons in die Backen.) TV-Verträge, Parties, Paris Bar, Galas, blitzlichtbefeuerte Auftritte mit Leibwächter von klitschkoschem Maß und russischen Nutten – es ist geschafft.

„Gratsch“ ist der vor drei Tagen erschienene Roman von Jockel Tschiersch. Eine Köpenickiade des Post-Glasnost.

Nun sitzt Tschiersch auf der Bühne der Bar jeder Vernunft, ein rosarotes Sofa, ein Bistrotischchen, ein Glas Wasser, ein Buch. Das Stück heißt „Gratsch oder ich mach euch das Arschloch“. Das Plakat zum Stück ist das Cover des Romans: ein düster-russisch blickender Tschiersch und ein roter Stern. Das ist eine neue Form der kulturellen Synergie. Bisher kennt man das Buch zur TV-Serie, die CD zum Film, das Videospiel zur CD. Nun also die Show zum Roman.

Und Jockel Tschiersch, 45, Schauspieler, Drehbuchschreiber, Kabarettist, Romanautor, liest aus Gratsch. Gut hört sich’s an. Warum? Weil der Roman gut schrieben ist? Weil ein Schauspieler auch schlechte Passagen gut klingen lassen kann? An solchen Fragen hangelt sich Tschiersch ins Programm. Er liest. Er spielt. Er ist mal Autor und mal Rabe und mal Gratsch, diese verschiedenen Ebenen verschmilzt dann der Kabarettist wüst und schwitzend zu einem unterhaltsamen Amalgam.

Da ist, beispielsweise, die ewige Suche nach den autobiografischen Stellen im Roman. Tschiersch bekommt wütende Anrufe von einigen Verflossenen, die sich in der Petra wiederentdecken. Nur Karin ruft nicht an, das Vorbild für die Romanfigur Petra. Und auch als Gratsch bekommt Rabe noch Pakete von seiner Mutter, seit jeher ihr Mittel, das selbstbewusstseinslose Weichei zu quälen. Warum er denn nie zu Hause sei, wenn der Postbote komme? Ob ihm die Unterhosen des Onkels passen? Weshalb er sich noch nicht für das Paket bedankt habe?

Jockel Tschiersch, klein und dicklich, absolviert das im Transrapidtempo, er ist ein Turbomonologisierer. Wenn Alec Guinness der Mann mit den tausend Gesichtern ist, ist Tschiersch der Mann mit den tausend Stimmen. Nahtlos wechselt er vom bayerischen in älblerische, vom Dialekt der Eifel nach Mannheim und über berlinerische des Taxifahrers in sächsisch einer unfreundlichen Sicherheitskontrolleuse. Und immer bleibt Tschiersch, seinem Ruf gemäß, zynisch („SZ“) und respektlos („Berliner Zeitung“) und hinterfotzig (Tagesspiegel) und böse („FR“). Saftig mag er’s, obszön, zotig; am Schluss steht er da im getigerten Stringtanga und Cowboystiefeln.

Was ist nun besser, Buch oder Bühne? Hm. Das Buch hat 448 Seiten und die Show dauert zwei Stunden. Das Buch ist billiger. Soweit der Serviceteil.

Es ist ein lustiges Buch, auf jeden Fall, mit einem guten Plot und genauen Beobachtungen komischer Szenen aus dem Alltag und der bizarren Welt des Films. Es ließe sich, in Zeiten der „Superstars“, leicht als medienkritisch stilisieren. Es ist etwas für Freunde der Kolportage, des skurrilen Blödsinns; eher Anke Engelke als Hannelore Hoger.

Und Jockel Tschiersch? Der ist sehr unrasiert und sehr müde am Tag nach der Premiere. Und sehr zufrieden mit der Welt. Er dreht zwei Filme derzeit und hat nebenbei Gratsch auf die Bühne gestellt. Er ist gut im Geschäft. Seit Jahren gibt er den Kommissar in zwei Fernsehserien, neben Iris Berben in „Rosa Roth“ (Sat 1) und in „Doppelter Einsatz“ (RTL). Er hat reichlich Episodenrollen, mal als sprechende Leiche, mal als schmieriger marrokkanischer Taxifahrer, mal als einarmiger Wachmann im Kinofilm über die Gebrüder Sass.

Das spült ihm schönes Geld ins Haus und bringt die Freiheit, Gratsch zu schreiben und zu spielen und über trottelige TV-Redakteure zu lästern, primitive Idioten, deren Hauptbeschäftigung die Missachtung künstlerischer Arbeit sei. Was soll’s, er schaut auf die Uhr, ein Milchkaffee noch, ja, hier sitzt ein Mensch der nicht klagt, der sagt, er sei zufrieden. Während andere mit Manuskripten bei Verlagen vorsprechen, bekommt er ein Angebot von Knaur. Er steckt voller Ideen, patsch!, haut die Hand aufs dicke Notizbuch.

Er muss dann nur noch vom großen Glück erzählen, der Jockel Tschiersch, dann sieht sein grober Kopf aus wie mit dem Weichzeichner abgelichtet. Die richtige Frau, der fünf Monate alte Sohn. So viel Zärtlichkeit, da ist richtig zu spüren: Diesem Kerl hängt der Himmel voller Arschgeigen.

Das Buch: Gratsch. Knaur Verlag, 8.90 €. Die Show: „Gratsch oder ich mach euch das Arschloch“, Bar jeder Vernunft (Schaperstraße/Tel. 8831582), bis 26. Februar.

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