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Kultur: Ein kleiner Mann, der sich was traut

Herr Wenders, was verbindet Sie mit Heinz Rühmann?Meine ersten Erinnerungen an Heinz Rühmann sind Erinnerungen an seine Stimme.

Herr Wenders, was verbindet Sie mit Heinz Rühmann?

Meine ersten Erinnerungen an Heinz Rühmann sind Erinnerungen an seine Stimme. Ich kannte Heinz Rühmann als Erzähler aus dem Radio. Und fand, dass er eine Wahnsinnsstimme hatte, wie sonst niemand. Es war meine Lieblings-Erzählstimme.

Warum?

Alle anderen Stimmen, die ich aus dem Radio oder von Schallplatten kannte, sprachen Hochdeutsch. Bei Rühmann habe ich gespürt, dass er aus der Gegend kam, wo ich groß geworden bin, zwischen Düsseldorf und Oberhausen. Das ganz kleine bisschen Essen, was da drin geblieben ist, hat mir viel bedeutet. Und dann war es halt eine emotionale Sprache. Viele Erzählerstimmen stehen ja über dem Erzählten. Rühmann war immer mittendrin.

Heinz Rühmann hat in manchen seiner Filme, besonders in den fünziger und sechziger Jahren, durchaus auch sentimental gespielt. Sie finden, dass er immer echt war?

Es ist ja eine feine Gratwanderung im Kino zwischen sentimental und gefühlvoll, kitschig und daneben. Ich glaube, dass Heinz Rühmann nie daneben war. Er hat immer viel investiert an Emotionen, und ich glaube, er ist so geliebt worden, weil er viel riskiert hat. Er hat ja auch in seinem Leben Einiges riskiert, auch politisch. Und er hat dabei auch Fehler gemacht. Mir hat an ihm gefallen, dass er, jedenfalls mir gegenüber, kein Blatt vor den Mund nahm und Fehler eingesehen und eingestanden hat.

Das ist erstaunlich, weil er sich selten über Politisches geäußert hat, besonders bezogen auf das Dritte Reich. 1992, als Sie ihn engagiert haben, galt er er ja besonders unter den Progressiven der Filmbranche immer noch als Nazi-Schauspieler.

Nicht bei mir. Er hatte eine Vergangenheit, die in der Hinsicht eine Gratwanderung war. Doch wenn er ein Nazi gewesen wäre, hätte er sich anders verhalten und auch eine andere Seele haben müssen. Er hatte durchaus eine konservative, national-deutsche Vergangenheit. Als wir uns zum ersten Mal trafen, habe ich es ein bisschen darauf ankommen lassen - ich wollte ja auch wissen, was er für einer war. Ich habe ihn richtig schätzen gelernt und fand, dass ich ihm nichts vorzuwerfen hatte. Für mich war er eben einer, der damals in Deutschland geblieben ist. Und bei der Arbeit habe ich gemerkt, dass das, was er in der deutschen Seele berührt hat, nicht von ungefähr kam. Da stand wirklich jemand ganz Großes und Kräftiges dahinter. Hinter diesem kleinen, unscheinbaren Mann.

Ein Sieger?

Ja. Auch durch sein Überzeugen und Mitteilenwollen. Als er bei "In weiter Ferne, so nah" mitspielte, hatte er ja schon lange nicht mehr vor der Kamera gestanden. Er hat wohl eine Weile Drehbücher gelesen und darauf gewartet, dass noch einmal etwas käme und er ein letztes Mal auftreten könnte. Er sagte mir: "Ich hatte eigentlich dieses Warten aufgegeben, als Ihr Drehbuch kam. Aber dann habe ich es gelesen, und das ist jetzt das Letzte, was ich machen will." Wenn er es nicht gemacht hätte, hätte ich die Rolle wahrscheinlich aus dem Drehbuch gestrichen. Ich hätte nicht gewusst, wem ich sie sonst hätte anbieten sollen. Es ging ihm gesundheitlich nicht mehr so gut. Rühmann wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte.

Hatte er denn mit seinen 90 Jahren noch eine große Präsenz vor der Kamera?

An seinem ersten Drehtag habe ich eine Gänsehaut bekommen, als er vor der Kamera stand. Bei Proben sind ja immer tausend Leute um einen herum, und man muss brüllen, damit es ruhig wird. Bei den Proben mit Rühmann herrschte absolute Stille. Bis zum letzten Bühnenarbeiter und Beleuchter standen alle mucksmäuschenstill da und hörten zu. Weil alle merkten, jetzt muss man dem Mann seinen Raum geben. Es war toll, wie er durch seine bloße Gegenwart eine solche Aufmerksamkeit schaffen konnte. Als dann die Kamera lief, ging ein Ruck durch ihn. Auf einmal schien all das, was er kannte und wusste, wieder auf, bloß weil er mit seiner ganzen Präsenz und einer unbändigen Freude auf die Kamera reagierte. Man hat ihm angemerkt, dass er jeden Take genoss. Und dann diese Wahnsinns-Stimme. In dem Moment, in dem er den Mund aufmachte, kam eine weitere Dimension hinzu. Er hatte ja auch stumme Szenen, aber sobald Heinz Rühmann zu sprechen begann, war es, als ob wir von Schwarzweißfilm auf Farbfilm umgeschaltet hätten.

Man merkt auch als Zuschauer, wie der greise Heinz Rühmann, die deutsche Schauspiel-Legende, mit der Rolle des Chauffeurs Konrad verschmilzt.

Ich habe die Rolle wirklich für ihn geschrieben. Aber es kommt dazu, dass er zu jedem Schauspieler, mit dem er zusammenarbeitete, mit Nastassja Kinski, Monika Hansen, Rüdiger Vogler und Otto Sander, beim Drehen eine Beziehung aufgebaut hat. Mit Nastassja Kinski zum Beispiel war er ganz streng, weil er fand, dass sie besser sein könnte. Und müsste! Ich war im ersten Moment ein bisschen erstaunt und dachte, was macht er jetzt, denn zu den anderen war er immer ganz lieb. Hinterher hat er mir gesagt, die kann soviel mehr! Und das hat er auch aus ihr rausgeholt. Es gibt viele Schauspieler, denen die anderen völlig egal sind. Sie freuen sich eher, wenn die anderen nicht so gut sind. Rühmann wollte, dass alle ihr Bestes geben. Das merkt man den Szenen auch an.

Wie mir Hertha Rühmann sagte, hat er sich besonders gefreut, dass gerade Sie mit ihm drehen wollten. War das auch eine Versöhnung zwischen den Generationen, dem alten und dem jungen deutschen Film?

Er hat ja mit keinem von "uns" gearbeitet, weder mit Fassbinder, noch mit Herzog, noch mit Schlöndorff. Aber es gab bei ihm schon die Sehnsucht, den Anschluss an diese Generation von Filmemachern zu bekommen. Deswegen habe ich die Rolle geschrieben: Dieser alte Fahrer, der schon als junger Mann Chauffeur gewesen ist und Zeit seines Lebens durch dieses Jahrhundert chauffiert ist, ist ja so eine Art Führer durch das 20. Jahrhundert. Für diese Rolle hätte es einfach keinen anderen gegeben.

Wie erklären Sie sich die Wirkung dieses kleinen, eigentlich unscheinbaren Mannes auf das große Publikum?

Es gibt in der deutschen Filmgeschichte nach dem Krieg außer Romy Schneider und ihm niemand, der eine ähnliche Herzensbeziehung zum Publikum gehabt hat. Im amerikanischem Kino gibt es das viel mehr, übrigens auch im japanischen Kino. Gerade bei diesem als zu emotionslos geltenden Volk gehen die Schauspieler unglaublich aus sich heraus. In Deutschland sind Schauspieler eher bemüht, das, was unter der Rolle liegt, zu verdecken. Heinz Rühmann hat von Anfang an immer das Innere nach außen gekehrt - gerade weil er kein Beau gewesen ist, nur so ein kleiner Mann, aber ein Abenteurer! Und als Abenteurer hat er durchaus einen deutschen Kern getroffen. Die Deutschen haben seit dem 19. Jahrhundert eine Tradition der Piloten und Entdecker. Und das hat er gespielt: den kleinen Mann, der sich was traut. Und es trauen sich halt nicht so viele was in Deutschland. Insofern hat man sich mit ihm ganz besonders identifiziert.

Sie meinen, dass er sich innerhalb der Rolle wirklich geöffnet hat?

Er ist sehr, sehr weit gegangen. Man hatte sich daran gewöhnt: Das ist der Rühmann und der spielt den Hauptmann von Köpenick, so wie er immer spielt. Und nach einer Weile hält man das für seine Show. Aber dass die Show im Grunde ein Rausstülpen der Seele ist, ein Hochseilakt, das vergisst man schnell.

Welche Rolle von Heinz Rühmann haben Sie denn als stärkste in Erinnerung?

Das ist schwer zu sagen. Mir kommt es manchmal so vor, als ob das eine einzige, große Rolle gewesen wäre, mit vielen Facetten..

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