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Kultur: Ein Kontinent der Künste

Was auf dem Schlossplatz möglich wäre: Die Staatlichen Museen Berlins zeigen ihre Meisterwerke afrikanischer Kunst in Brasilien

Unter der mächtigen Kuppel im Inneren der ehemaligen Hauptverwaltung der Banco do Brasil kann man das eigene Wort nicht mehr verstehen – und auch nur mit Mühe die Festansprachen. Nicht nur Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, kämpft vergebens gegen die Geräuschkulisse an. Eine tausendköpfige Menge drängt sich in der Rotunde und den angrenzenden Foyers, um der Eröffnung der Ausstellung „Kunst aus Afrika – Meisterwerke aus dem Ethnologischen Museum Berlin“ in Rio de Janeiro beizuwohnen. Bereits während der ersten drei Öffnungstage werden 30000 Besucher im Kulturzentrum der größten Bank des Landes gezählt.

Die afrikanische Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin umfasst 75000 Objekte; lediglich 200 können in Dahlem gezeigt werden. Immerhin 300 sind auf die Reise nach Rio de Janeiro gegangen, einschließlich Spitzenstücken wie den berühmten Bronzen aus Benin (Centro Cultural Banco do Brasil do Rio de Janeiro, bis 4. Januar). Brasilien mit seinen Millionen Einwohnern afrikanischer Abstammung bildet den idealen Resonanzboden für eine Sammlung, die in Berlin, gelinde gesagt, um Aufmerksamkeit kämpfen muss. In Rio werden für drei Monate Laufzeit mindestens 300000 Besucher erwartet; danach wandert die Ausstellung in verkleinertem Umfang in die Hauptstadt Brasilia sowie die Wirtschaftsmetropole São Paulo. Entsprechend fiel das Presseecho zur Eröffnung aus. Alle großen Zeitungen und Magazine warteten mit umfangreichen Berichten auf.

Verhältnisse, von denen die Dahlemer Museen der außereuropäischen Kulturen nur träumen können. Ihre nach Umfang und Qualität mit Paris, London und New York an der Weltspitze rangierenden Sammlungen sollen dereinst in das geplante Gebäude auf dem Schlossplatz ziehen, um in der Mitte Berlins den Dialog mit den Weltkulturen zu führen. Ob Schloss-Rekonstruktion oder Neubau, diese Streitfrage tritt in den Hintergrund, da die leeren Kassen des Bundes – wie berichtet – zu einem zunächst zweijährigen Aufschub der Entscheidung über die Schlossplatz-Bebauung zwingen. Das „Humboldt-Forum“ im Schloss-Neubau, dessen Kern und Hauptbestand die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bilden sollen, rückt, allen offiziellen Beschwichtigungen zum Trotz, in weite Ferne.

Missionar und Salzfass

Die brasilianische Expedition kommt da mehr als recht. Auf Wunsch sowohl der – großzügig kulturfördernden – Bank als auch des seine afrikanischen Wurzeln betonenden Kulturministers Gilberto Gil warten die Staatlichen Museen mit einer Ausstellung afrikanischer Kunst auf, die die Essenz der Dahlemer Sammlung vorführt. Afrika ist in dieser Fülle in Berlin nicht zu sehen – noch jedenfalls nicht, schwärmte doch Schuster in Rio davon, die eindringliche Inszenierung in den tiefschwarzen Räumen der Bank möglichst unverändert zu übernehmen. „Man muss seine Sachen nur ausleihen“, so der Museums-Chef pointiert, „um zu sehen, wie man sie sich in Dahlem wünscht.“

Das Berliner Stammhaus bereitet eine Ausstellung seiner Benin-Bronzen im Alten Museum vor – eine Vorahnung des Humboldt-Forums. Der anfängliche Gedanke, diese Ausstellung bereits für Rio de Janeiro einzurichten, wurde zugunsten eines umfassenden Überblicks über die Kunst Schwarzafrikas verworfen. Der Anstoß dazu kam von Alfons Hug, der als Leiter des Goethe-Instituts von Rio de Janeiro und zugleich Kurator der Kunstbiennale von São Paulo mit dem Gastland bestens vertraut ist. Aus dem Kulturetat der Bank mit 1,4 Millionen Euro finanziert, konnten die Berliner Museumsleute endlich einmal aus dem Vollen schöpfen.

Es sind zunächst die Holzskulpturen, die den Besucher in ihren Bann ziehen. Effektvoll ausgeleuchtet, stehen sie für sich – Meisterwerke sui generis, nicht Belegstücke der Völkerkunde. Da ist die makellos glatte Ahnenskulptur der Hemba, die deren Schönheitsideal widerspiegelt; das ideale Herrscherbildnis des sagenhaften Begründers des Königreichs Luanda, Chibinda Ilunga; oder die vollfigurige Porträtplastik von Zan, einer der Ehefrauen des Stammesfürsten Krai aus Westafrika. Peter Junge, der Kurator der Ausstellung und Leiter der Berliner Afrika-Abteilung, will mit dem Vorurteil aufräumen, es gebe in Afrika keine Kunst – und keine Kunstgeschichte. Nur seien die Namen der Künstler fast durchweg verloren gegangen, weil solche Individualität im kolonialistischen Vorurteil keinen Platz gehabt hätte.

Junge entschied sich ausdrücklich für eine Auswahl von herausragenden Objekten, die Stück für Stück als Meisterwerke ihres jeweiligen Genres präsentiert werden. Statt einer ethnografischen Gliederung folgt die Ausstellung in Rio drei Hauptthemen: zum einen die figurative Skulptur, unterteilt in Insignien der politischen Macht sowie Objekte rituellen Gebrauchs, zum zweiten die darstellenden Künste mit Masken und Musikinstrumenten und schließlich Designobjekte des Alltags wie der Demonstration von sozialem Status.

Im multiethnischen Brasilien stößt die Darstellung des kulturellen Austauschs auf besonderes Interesse. Das Vorurteil aus Kolonialzeiten, die afrikanische „Stammeskunst“ sei isoliert von der umgebenden Welt gewesen, wird in Rio eindrucksvoll widerlegt. Das elfenbeinerne Salzfässchen aus dem 15./16. Jahrhundert ist eines der ältesten gezeigten Objekte. Es stammt aus der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer und belegt so den seit der portugiesischen Entdeckung der Nigermündung regen Handelsverkehr mit Westafrika. In der figurativen Plastik zeigen sich in der Darstellung von Missionaren europäische Einflüsse – und ein bezaubernder Humor. Scheinbar authentische Gegenstände etwa für Orakel hingegen erweisen sich dafür als untauglich: Es handelt sich schlicht um Souvenirs für europäische Händler.

Einen weiteren Höhepunkt bilden die Bronzen aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria. Die mehrfigurigen Berliner Reliefbronzen des 16. und 17. Jahrhunderts, die einst den Königspalast zierten, bezeugen außerordentliche technische Fertigkeit. Ihnen gegenüber stehen die über zwei Meter hohen, geschnitzten Türpfosten aus Kamerun, die fast zur Gänze in übereinander stehende Figurenkompositionen aufgelöst sind.

Solchen Herrschaftsinsignien gegenüber stehen die Skulpturen, die am ehesten die Vorstellung vom magischen Kontinent erfüllen: „Power-Figuren“ des Kongo-Beckens, wie Junge sie in bewusster Absetzung vom Begriff des Nagelfetischs bezeichnet. Sie sollten die Harmonie zwischen der diesseitigen Welt und der jenseitigen der Ahnen befestigen oder wieder herstellen. Die grimmige Standfigur der Yonde trägt die Zeugnisse zahlreicher Rituale, die diese Skulpturen zu Verkörperungen einer andauernden spirituellen Kraft machen. Im Saal der alle Nuancen zwischen lebhaftem Ausdruck und äußerster Formreduktion füllenden Masken lässt ein Dokumentarfilm die alle Sinne berührende „Performance“ des Maskentanzes erahnen. Zu ihr gehören auch die ausgestellten, reich verzierten Trommeln, Hörner und Harfen.

Aber in Rio de Janeiro findet eben nicht allein eine großartige Ausstellung statt. „Die Wiederbegegnung mit afrikanischer Kunst“, so Brasiliens Kulturminister im eindrucksvollen, 350 Seiten starken Katalog, „ist vor allem ein Moment der Erinnerung.“ Mit Blick auf die Millionen von Sklaven, die über den Atlantik gebracht wurden, spricht Gilberto Gil von seinem Land als „Afrika im Exil“, und die Objekte der Ausstellung riefen aus: „Brasilianer, bedenkt, dass ihr zugleich Afrikaner seid!“

Solche Emphase bezeugt eindrucksvoll, dass es andere Bewertungen der Berliner Sammlungen gibt als die der deutschen Finanzpolitiker. „Die Ausstellung“, so Museumsgeneraldirektor Schuster im Gespräch, „ist eine Bestätigung des singulären Rangs unserer auf die Kunst der ganzen Welt ausgerichteten Museen. Wir liefern Brasilien den Schlüssel zu seiner Selbsterkenntnis.“ Und, mit Blick auf die bedrückende Situation Berlins: „Dieser Triumph kommt in einem Augenblick, wo das Humboldt-Forum per Moratorium gebremst wird!“ Einmal in Fahrt, verwirft Schuster das Vorhaben einer Schloss-Rekonstruktion als „Falle, die uns die Wohlmeinenden gestellt haben – als seien wir Traumtänzer, die das Schloss wollen.“

An der Vision selbst, die Sammlungen außereuropäischer Kunst in die historische Mitte Berlins zu verlagern, hält Schuster zwar fest: „Dieser große Blick auf die ganze Welt – das ist das Einzige, was diesem Platz angemessen ist.“ Doch zur Not solle die Idee des Humboldt-Forums eben in Dahlem verwirklicht werden. Er verweist auf die Anstrengungen von Paris oder London, um die dramatischen Wandlungen in der Präsentation und Wahrnehmung außereuropäischer Sammlungen zu umreißen. Vom Gastspiel in Brasilien aus lässt sich erahnen, wie Berlin sein Potenzial zum Dialog der Weltkulturen nutzen könnte. Das ist, Schuster betont es, im Zeichen der Globalisierung alles andere als ein Luxus.

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