zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Leben lang zögern

Von Kerstin Decker Es gibt Streit um ein Buch. Werner Mittenzwei, der Brecht-Biograf, hat 589 Seiten über die Intellektuellen in der DDR geschrieben.

Von Kerstin Decker

Es gibt Streit um ein Buch. Werner Mittenzwei, der Brecht-Biograf, hat 589 Seiten über die Intellektuellen in der DDR geschrieben. Sein Buch heißt „Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945-2000“ (Faber & Faber Verlag, Leipzig, 29,70 €). Wer Mittenzwei liest, glaubt spätestens nach der Einleitung, dieses Land muß voller Intellektueller gewesen sein. Ein sehr mutiges Buch, sagen viele. Andere sind irritiert. Zum einen natürlich die Logiker. Die Logiker – erfahrungsarm, aber gute Rechner – erklären das so: Die DDR war eine Diktatur, ergo konnte es da überhaupt keinen Intellektuellen geben. Die Logiker sind allzeit sehr mächtig. Die Maniker sind ohnehin verstimmt. Spricht nicht allein schon ihr vergangenes Leid gegen Mittenzwei? Und dann sind da noch die Nicht-Logiker und Nicht-Maniker, die immer dachten, Leute vom Typus Flaubert, Sartre oder Adorno treten eher singulär auf und hätten Staatswesen von der geistigen Verfasstheit der DDR gemieden. Doch gesetzt den Fall, Mittenzwei hat doch Recht und die DDR war wirklich ein Intellektuellen-Land, spricht das dann, vom Ergebnis her gesehen, nicht eher gegen die Intellektuellen?

Deutung außer Kraft

In der Friedrich-Ebert-Stiftung diskutiert Mittenzwei mit Sympathisanten und Skeptikern. Konrad Franke, Journalist, sieht in Mittenzweis Buch ein Dokument der Trauer. Trauer darüber, dass die alten Deutungsmuster nicht mehr in Kraft sind. Der Trotz-alledem-Marxist Mittenzwei findet erst den Zugang zu einem Phänomen wie dem Intellektuellen, wenn er ihn nach Marxisten-Art klassen- und schichtenmäßig eingeordnet hat. So unterliegt Mittenzwei einem ganz einfachen Irrtum: Er deutet Menschen, die von Berufs wegen hauptsächlich mit der Schreibmaschine umgingen, aber keine Geschäftsbriefe tippten, einfach als soziale Schicht. Mittenzwei spricht also über die Intelligenzija im sowjetischen Sinne und hat sie versehentlich die „Intellektuellen“ genannt. Aber der Journalist Franke, Berufs-Skeptiker, ist noch nicht fertig: Versager würden bei Mittenzwei als Helden stilisiert, und überhaupt möge der Autor der „Intellektuellen“ mal erklären, warum die sich in der DDR so anders benahmen als in Polen oder der Tschechoslowakei. Verleger Elmar Faber solidarisiert sich energisch mit seinem Autor und erblickt in Franke eine Art Verhinderer der deutschen Einheit; die Leipziger Literaturhistorikerin Simone Barck solidarisiert sich mit Mittenzwei und Franke zugleich und Hans Bentzien, einst Kulturminister der DDR, solidarisiert sich vor allem mit sich selbst. Das Publikum ist ratlos. Es weiß nicht so recht, mit wem es sich solidarisieren soll. Franke hat die glatte, allzu glatte Stirn aller Berufslogiker, Mittenzwei aber steht gegen die Lebenserfahrung einer ganzen DDR-Generation, die sich durch das enge geistige Klassenkampf-Biedermeier der DDR hindurchsehnte ins Freie und vor allem eines begriff: Ein Intellektueller ist jemand, der zuerst für sich selber steht. Intellektuelle treten niemals in Schichten auf, Intellektuelle sind immer Einzelne.

Vielleicht wäre ein Buch wie das Mittenzweis nie so begrüßt worden, hätte das bundesdeutsche Feuilleton nicht Anfang der Neunziger die wirklichen Intellektuellen der DDR öffentlich geköpft: Autoren wie Christa Wolf oder Stefan Heym. Andere hat man vergessen, Franz Fühmann zum Beispiel, der war auch schon tot. Diskreditiert waren plötzlich jene, die schon lange nicht mehr einer „Sache“, sondern längst sich selbst angehörten. Die den eigenen schmerzhaften Erfahrungen vertrauten. Das unterscheidet den wirklichen Intellektuellen auch heute noch von den bloßen Logikern, den Wissenden-vor-aller-Erfahrung.

Zwang von Anfang an

Aber der Streit verweist auf etwas Ungelöstes am Grunde, dass beide Seiten noch in dem Unrecht haben läßt, wo sie scheinbar Recht haben. Es ist die Frage nach der Legitimität der DDR in ihrem Ursprung. Die DDR war das Nachkriegs-Faustpfand der Sowjetunion, und niemand hätte sie dazu bringen können, es einfach aus der Hand zu geben, schon gar nicht Adenauer. Das ist der kalte Blick von oben: die DDR, geschichtliche Geisel der Sowjetunion und der Gruppe Ulbricht als deren Statthalter, eine Totgeburt des Zwangs von Anfang an. Die Tragik der DDR-Geschichte besteht darin, dass diesem Zwang doch ein unbedingter Aufbruchswille einherging. Emigranten, Juden, andere Überlebende eben nicht für notdürftige Befriedung und Restauration, sondern für etwas grundlegend Neues. Man hat Mittenzweis Buch als unfreiwillig erbrachten Beleg für die These der ewigen Faszination der Intellektuellen durch totalitäre Systeme genommen. Das verkennt das Eigentliche: Hier sollte etwas Neues entstehen, gleichsam ein Staat, der erst noch zu erfinden war wie ein Kunstwerk. So etwas interessiert Intellektuelle, nicht der absehbar totalitäre Charakter. Und dass die „Intellektuellen“ der DDR gegen ihren Staat duldsamer reagierten als in Polen und der Tschechoslowakei, hat auch mit der deutschen Vergangenheit zu tun. Die anderen Länder erlebten den Sowjet-Sozialismus als Fremdherrschaft, was die Regierenden der DDR legitimierte, war ihre Vergangenheit. Sie kamen aus den Lagern, sie kamen aus der Emigration. Es war eine Herrschaft im n der Opfer. Die Frage ist, wann man beginnen muss, sich auch gegen die zu wehren, die das Recht der Vergangenheit auf ihrer Seite haben. Vielleicht haben hier ganze Generationen versagt, die Gründergeneration der DDR und jene Nach-Gründergeneration, der Mittenzwei angehört. Wenn man Lebensläufe kennt, wird Verurteilung oft schwer. Mittenzweis Buch ist ein Dokument dieser NachGründergeneration der DDR, es ist lehrreich, es ist überaus redlich und will auch kritisch sein auf den 567 Seiten, die der Einleitung folgen.

Und doch meint man, bis in die Sprache hinein, die alte Enge wieder zu spüren. Und es ist keine Geschichte der Intellektuellen der DDR, sondern eine der literarischen Intelligenzija und ihres Verhältnisses zur Politik. Aber jene, die an dieser DDR kaputtgingen, kommen gar nicht vor. Und die wirklichen Intellektuellen der DDR – die Denker, deren geistige Welten nie den Abmessungen des allzu kleinen Landes gehorchten – kommen auch nicht vor: der Autor Friedrich Dieckmann etwa oder Gerd Irrlitz, Philosophieprofessor an der Humboldt-Universität. Vielleicht hätten sie dieses Buch schreiben sollen – eine Geschichte der Intellektuellen als intellektuelles Ereignis.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false